IBEX auf steiler Bahn

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Recht wenig beachtet, selbst in der Raumfahrtgemeinde, startete am 19. Oktober an Bord einer Orbital Sciences Pegasus XL der "Interstellar Boundary Explorer" der NASA, kurz IBEX, in einen extrem hochexzentrischen Erdorbit. Als Satellit der Explorer-Reihe gehört er zum ältesten US-Satellitenprogramm überhaupt. Es begann am 31. Januar 1958 mit dem Start von Explorer 1. In der Zählfolge der seitdem gestarteten Explorers wird IBEX auch als Explorer 91 bezeichnet.

Nur so groß wie ein LKW-Reifen: IBEX

Das Explorer-Programm ist in drei Kategorien aufgeteilt:

• dem Small Explorer Programm für kleine Forschungsmissionen. Zu diesen zählt auch IBEX.

• Dem Middle-Sized Explorer Programm MIDEX, zu dem beispielsweise das Gammastrahlen-Observatorium SWIFT (Explorer 84) gehört.

• Und schließlich zwei Programme für kleine Forschungsnutzlasten der Universitäten, die unter den Akronymen STEDI und UNEX laufen wie beispielsweise der im Jahre 2003 gestartete Chipsat (Explorer 82), der die Verteilung heißer Gase im Weltraum mittels Ultraviolettspektroskopie untersucht.

IBEX wird die Wechselbeziehung der Grenzschicht zwischen der Heliosphäre und der interstellaren Materie beobachten. Anders als die Raumsonden, die direkte Stichproben in dieser mehr als 90 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernten Gegend vornehmen konnten (Pioneer 10 und 11, Voyager 1 und 2) unternimmt IBEX diese Messungen aus einer Erdumlaufbahn. Er registriert dabei die in dieser Grenzschicht entstehenden neutralen Partikel.

Ein recht guter Missionsüberblick in deutscher Sprache ist in diesem Beitrag von Karl Urban zu finden. Die IBEX-Homepage liefert Informationen über die Mission und ihren gegenwärtigen Status im Detail.

Der kleine Explorer ist ein recht einfach aufgebautes Raumfahrzeug. Er ist lediglich mit zwei Sensoren ausgerüstet, mit denen hoch- und niederenergetische Partikel registriert werden. Durch die Rotation des Satelliten und die Ausrichtung der Rotationsachse auf die Sonne wird im Laufe eines Jahres der gesamte Himmel von den Detektoren erfasst.

Der Satellit alleine wiegt nur wenig über 100 Kilogramm. Jeder Erdumlauf bringt ihn fast hinaus bis zur Mondbahn, auf einen Orbit bei dem er acht Tage benötigt um einen einzige Erdumkreisung durchzuführen. Das Apogäum, der erdfernste Punkt der Bahellipse, liegt bei 320.000 Kilometern, der erdnächste Punkt seiner Umlaufbahn wird einige Wochen nach dem Start bei mehr als 7.000 Kilometern Erdabstand liegen.

Es ist das erste Mal, dass ein derart hoch exzentrischer Orbit mit Hilfe eines so kleinen Trägerfahrzeugs wie es die Pegasus ist, angesteuert wird. Um dahin zu kommen, waren einige Schritte notwendig: Zunächst musste die dreistufige Pegasus ihre Nutzlast in einem 200-Kilometer Orbit abliefern, der Nutzlast eine Rotation von 60 Umdrehungen pro Minute mitgeben und sie dann freigeben. Danach musste ein so genannter Kick-Motor zünden, ein am Satelliten befestiger Thiokol Star 27-Feststofftreibsatz, der diese kreisförmigen, niedrige Erdumlaufbahn eine weitgeschwungene Ellipse überführte. Deren Perigäum lag allerdings zunächst noch bei einem niedrigsten Bahnpunkt in 200 Kilometern Höhe. Erst im laufe einiger Wochen nach dem Start wird IBEX dann mit Hilfe seiner eigenen kleinen Hydrazin-Triebwerke den niedrigsten Bahnpunkt nach und nach anheben.

Ein möglichst hohes Apogäum ist deshalb nötig, weil für die Messungen, die IBEX durchführen soll, eine Bahn außerhalb des magnetischen Schutzschirms der Erde erfordern. Der Satellit kann seine Mission nur in einer Erdentfernung von mindestens 10 Erdradien durchführen. Die Höhe des Perigäums dagegen wird vor allem durch den Wunsch bestimmt, die besonders strahlungsintensiven Bereiche der Van-Allen Gürtel zu meiden. In 7.000 Kilometer Höhe befindet sich IBEX bereits über der hauptsächlich aus hochenergetischen Protonen bestehenden unteren Strahlungszone des Van Allen Belts.

 

Es war dies der 40. Einsatz der geflügelten Pegasus, dem derzeit kleinsten einsatzbereiten westlichen Raumfahrtträger.  Die Pegasus wird von einem Trägerflugzeug, einer modifizierten Lockheed Tristar, auf eine Einsatzhöhe von etwa 12.000 Metern gebracht, dann abgeworfen und in der Luft gestartet. Nach der Zündung fliegt sie zunächst ein aerodynamisches Profil und ist dabei eher ein raketenbetriebenes Flugzeug bevor sie nach dem Verlassen der dichteren Luftschichten in eine ballistische Flugbahn und schließlich in den Orbitalmodus übergeht.

Für die Trägerrakete war der Job getan, als sie IBEX mit seinem Feststoffmotor freigegeben hatte. Der Star 27 Motor wird als Teil des Satelliten betrachtet, nicht als Teil des Trägers.  Dieser kleine, fast kugelförmige Raketenmotor hat übrigens eine sehr hohe Zuverlässigkeitsquote. Er kam bislang 31-mal zum Einsatz, jedes Mal erfolgreich.

Die Kombination aus Satellit und Star 27 wog 460 Kilogramm. Damit ist das die schwerste Nutzlast, die eine Pegasus jemals in den Orbit gebracht hat. Mit diesem Nutzlastgewicht war ein Start von Cap Canaveral aus nicht mehr möglich.

Die Pegasus ist jedoch unter dem Rumpf ihres Trägerflugzeugs gut transportierbar, und so beschloss die Projektleitung, die Mission von der Ronald Reagan Test Site auf den Marshall-Inseln aus durchzuführen. Von dort aus gingen bereits zweimal Pegasus-Raketen auf die Reise in den Orbit. Durch den Start von diesem äquatornahen Absprungpunkt gewinnt man etwa 15 Kilogramm zusätzliche Nutzlastkapazität, einfach durch die schnellere Rotation der Erde von diesem Ort aus.

Bis heute hat die Pegasus insgesamt mehr als 70 Satelliten in den Orbit gebracht und war bei den letzten 25 – durchgeführt in den letzten 11 Jahren – ohne Fehlstart.

Hier die Schlüsselereignisse des Starts. Alle Zeitangaben in mitteleuropäischer Zeit:

19:44 Uhr: T-minus 3 Minuten: Der Bahnrechner der Rakete wird mit den Abwurfdaten geladen.

19:45 Uhr: Die L-1011 Tristar "Stargazer" passiert den letzten Wegpunkt vor dem Einflug in die Startbox, einem genau definierter Raumquader in dem der Abwurf der Pegasus erfolgen muss.

19:46 Uhr: Die Batterien für die Steuerflächen der ersten Stufe werden aktiviert. Sekunden später wird ein Test der Ruder durchgeführt. Die aerodynamischen Steuerflächen sind während der ersten Flugphase notwendig, um die Rakete in den dichteren Schichten der Erdatmosphäre zu steuern. Sobald die Batterien aktiviert sind muss der Start innerhalb von 90 Sekunden erfolgen, oder er wird abgesagt und kann am selben Tag nicht mehr stattfinden. Grund dafür ist die sehr begrenzte Lebensdauer der Batterien.

19:46:23 Uhr: T-minus 1 Minute. Die L-1011 passt ihren Kurs an, um die genaue Abwurfrichtung einzunehmen. Die Pegasus wird mit einem Azimuth von 81,5 Grad gestartet, einige Strich nördlich einer genau östlichen Ausrichtung.

19:47:00 Uhr: Die "Stargazer"  fliegt in die Abwurfbox ein. Sie ist 65 Kilometer lang und 6,5 Kilometer breit.

19:47:23 Uhr: Abwurf. Die Pegasus XL ist jetzt frei vom Trägerflugzeug, das nun, von mehr als 23 Tonnen Gewicht befreit, nach oben wegsteigt. Die Pegasus befindet sich für fünf Sekunden im freien Fall, um Abstand vom Trägerflugzeug zu bekommen.

19:47:28 Uhr Die erste Stufe der Pegasus zündet. Die Beschleunigungswerte des geflügelten Trägers sind enorm. 20 Sekunden nach dem Abwurf durchbricht die Rakete die Schallmauer. Weitere 10 Sekunden später beträgt die Geschwindigkeit bereits 2.300 Kilometer pro Stunde. Der Aufstiegswinkel wird jetzt steiler und beträgt nun 35 Grad.

19:48:23 Uhr T+plus 1 Minute. Die Rakete befindet sich jetzt in einer Höhe von 24 Kilometern, die Geschwindigkeit beträgt 4.000 km/h.

19:48:44 Uhr: T + plus 1 Minute, 18 Sekunden. Der Feststofftreibsatz der ersten Stufe ist ausgebrannt. Das Vehikel ist jetzt für 12 Sekunden in einer ballistischen Freifallkurve. Danach wird die Stufe abgeworfen. Drei weitere Sekunden später zündet die zweite Stufe.

19:49:41 Uhr: Die beiden Halbschalen der Nutzlastverkleidung werden abgeworfen. Die zweite Stufe feuert weiterhin.

19:50:10 Uhr:   Die zweite Stufe ist ausgebrannt. Die Pegasus fliegt jetzt antriebslos für zwei Minuten und 18 Sekunden weiter. Kleine Steuerdüsen richten das Fahrzeug jetzt für die Stufentrennung und die nachfolgende Brennzeit der dritten Stufe aus. Während dieser Zeit ermittelt der Bordrechner die bisher erzielten Flugparameter. Der Zeitpunkt der Zündung der dritten Stufe wird durch das Ergebnis dieser Berechnung bestimmt. Die Pegasus folgt in dieser Phase einer ballistischen Freiflugbahn mit einer Geschwindigkeit von  19.200 Kilometern pro Stunde.

19:52:23 Uhr: Die ausgebrannte zweite Stufe wird abgeworfen. Fünf Sekunden später zündet die dritte Stufe.

19:53:45 Uhr: Der Feststofftreibsatz der dritten Stufe ist ausgebrannt. IBEX befindet sich jetzt auf einer niedrigen Erdumlaufbahn. Zu diesem Zeitpunkt reißt die Telemetrieverbindung mit dem Träger ab, da die Kombination aus dritter Stufe und Nutzlast unter dem Horizont der Kwajalein Tracking Station verschwindet. Die Rakete speichert die Daten jetzt an Bord und wird sie zur Erde senden, sobald über das "Tracking und Data Relay Satellitensystem" der NASA die Bodenstationen in Hawaii und Ascension ansprechbar sind. Die Leistung des Trägers war besser als erhofft, und der bis jetzt erzielte Orbit ist elliptisch in einer Höhe von 210 x 413 Kilometern bei einer Bahnneigung von 11 Grad zum Äquator.

19:55:10 Uhr: Kleine Raketenmotoren an der dritten Stufe versetzen die Stufe in eine Drehbewegung von 60 Umdrehungen pro Minute.

19:55:45 Uhr: Die dritte Stufe trennt sich vom Satelliten und dem daran befestigten Star 27 Kick-Motor. An diesem Punkt versucht sich IBEX zum ersten Mal über den Relaysatelliten zu melden. Aber der Downlink zwischen den Relay-Satelliten und der Bodenstation ist unterbrochen, so dass noch keine Nachricht zur Bodenstation durchkommt, was dort für etwas Unruhe sorgt.

19:55:47 Uhr: Der Adapter-Konus, das Verbindungsstück zwischen Träger und der Kombination aus Star 27 und Satellit wird abgeworfen. Zwei Sekunden später beginnt der Feststoffmotor zu feuern.

19:56:39 Uhr: Der Star 27 ist ausgebrannt.

19:60:01 Uhr: Das Gehäuse des nunmehr ausgebrannten Star 27 Motors wird abgesprengt. Etwa um diese Zeit bekommt die Tracking-Station auf Hawaii verspätet die Nachricht, dass der Träger einen niedrigen Erdorbit erreicht hat, aber noch nicht die Bestätigung, dass auch der Star 27 erfolgreich gearbeitet hat.

20:21 Uhr: Endlich bekommt das IBEX Mission Operations Center in Dulles, Virginia die Meldung, dass sich IBEX vom Star 27 getrennt hat. Die unterbrochene Datenverbindung über die TDRSS-Satelliten der NASA sorgte dafür, dass es bei den Flugkontrollern für fast eine halbe Stunde recht besorgte Gesichter gab. Es stellte sich aber heraus, dass die automatische Startsequenz exakt nach Plan abgelaufen war.

Interessant vielleicht hier einmal die Statistik der Objekte zu beobachten, die nach diesem Start im Orbit sind:

1. Ein Orion 38 Pegasus-Drittstufenmotor auf einer Umlaufbahn von 210 x 413 Kilometern und einer Bahnneigung von 11 Grad zum Äquator. Diese Stufe ist 1,4 Meter lang, hat einen Durchmesser von 1,0 Metern und wiegt 202 Kilogramm.
 
2. Der Adapter-Konus in derselben Umlaufbahn. Gewicht etwa 10 Kilogramm, 60 Zentimeter lang, Kegelförmig mit einem Durchmesser zwischen 0,7 und 1,0 Metern. Beide Objekte werden innerhalb einiger Wochen in die Erdatmosphäre eintreten und verglühen.

3. Ein ausgebrannter Star 27H-Motor in einem Orbit von 210 x 250.300 km. Masse 27 Kilogramm, Länge mit Düse 1,2 Meter, Durchmesser 0,7 Meter. Die Masse vor der Zündung betrug 368 Kilogramm. Dieser Körper wird einige Jahre im Orbit bleiben. Das Perigäum befindet sich noch in den obersten Ausläufern der Atmosphäre, so dass sich durch das permanente Aerobraking nach und nach sein Apogäum reduzieren wird. Schließlich wird auch das Motorgehäuse in der Erdatmosphäre verglühen. 
  
4. Und schließlich das IBEX selbst, der sich zunächst ebenfalls in einem Orbit mit den Parametern 210 x 250.300 Kilometern befand. Die bordeigenen 22N-Triebwerke werden diese Bahn innerhalb einiger Wochen auf die gewünschten 7.000 x 320.000 Kilometer bringen.

Die Masse von IBEX beträgt zunächst 107 Kilogramm. 27 Kilogramm davon sind Treibstoff. Der Satellit ist 60 Zentimeter hoch, und hat einen Durchmesser von einem Meter. In etwa die Größe eines LKW-Reifens somit. Er wird, sollte er nicht eines Tages aus seiner Umlaufbahn abgeholt werden, für die Dauer ganzer Erdzeitalter im Orbit verbleiben.

Weitere Bilder zu dieser Mission finden Sie hier.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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