Sputnik Moment mit Brouère

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Elon Musk und SpaceX, Falcon 9 und Dragon geben der US-Raumfahrt neue Hoffnung. Die Kommentare in Print-Medien, in Kommunikationsportalen wie Facebook und Twitter und bei Pressekonferenzen sind überschwänglich. Die einhellige Meinung: Für die Private Raumfahrt war das, was sich an diesem Mittwoch, den 8. Dezember 2010 ereignet hat, ein "Sputnik Moment". Der Eintritt in eine neue Ära der Raumfahrt.

Dabei hat Elon Musk eigentlich nur das erreicht, was die US-Raumfahrt schon vor einem halben Jahrhundert konnte: Eine unbemannte Raumkapsel in einen niedrigen Erdorbit entsenden und nach einigen Erdumkreisungen wieder zur Erde zurückholen.

Rein raumfahrttechnisch war tatsächlich nichts Sensationelles passiert: Um 16:43 Uhr mitteleuropäischer Zeit hob von der Startrampe 40 der Luftwaffenbasis Cap Canaveral eine Trägerrakete des Typs SpaceX Falcon 9 ab, und brachte knapp 10 Minuten später eine wieder verwendbare Raumkapsel mit der Bezeichnung "Dragon" in einen niedrigen Erdorbit. Trägerrakete und Raumkapsel funktionierten einwandfrei. Nach etwas weniger als zwei Erdumkreisungen zündeten vier der 18 "Draco"-Kleintriebwerke der Raumkapsel für einige Minuten und leiteten die Rückkehr des Fahrzeugs zur Erde ein. Um 20:04 Uhr landete die Kapsel 500 Kilometer vor der mexikanischen Küste an drei Fallschirmen sicher und sehr präzise im Zielgebiet und wurde von einem Bergungsschiff aufgenommen. 

Wieso also die Aufregung? Wäre diese Faktenlage auf die übliche Art und Weise entstanden, dann hätte das bei den eingefleischten Raumfahrtfans einiges Interesse erzeugt, denn so ganz leicht ist eine derartige Übung auch heute nicht. In der breiten Öffentlichkeit wäre die Sache aber kaum auf besondere Wahrnehmung gestoßen. SpaceX hat schließlich nicht mehr getan, als was die nationalen Raumfahrtbehörden der USA, Russlands und Chinas und in sehr begrenztem Maße auch Europas schon seit einer ganzen Weile tun.

Doch genau das ist der Punkt. Ein mittelständisches Unternehmen aus Hawthorne, Kalifornien hat das geschafft, wozu es bisher die Anstrengungen ganzer Nationalstaaten bedurfte. Und dieser Punkt ist nur der erste einer ganzen Reihe, die das Unternehmen zur Sensation machten. Schauen wir uns ein paar weitere an

Punkt zwei: Der Flug, sowie die Entwicklung der Rakete und der Raumkapsel erhielt zwar ein Co-Sponsoring durch die NASA im Rahmen des so genannten COTS-Programms (Commercial Orbital Transportation Services). Den weitaus überwiegenden Teil der Entwicklungskosten plus das gesamte Entwicklungsrisiko trug aber, anders als bei allen früheren Entwicklungen von Raumtransportsystemen, ein Privatunternehmen: Elon Musks "Space Exploration Technologies Inc.", besser bekannt unter der Kurzbezeichnung "SpaceX". Insgesamt hat die NASA derzeit exakt 253 Millionen Dollar in die Entwicklung der Falcon 9 Trägerrakete und der Dragon Raumkapsel gesteckt. Elon Musk und seine Co-Finanziers haben bisher aber tatsächlich etwa 620 Millionen Dollar ausgegeben.

Damit sind wir bei Punkt drei: Die Höhe der eingesetzten Mittel. So groß diese Summe dem unvoreingenommenen Laien erscheinen mag: Mit 620 Millionen Dollar (ca. 475 Millionen Euro) passiert in der institutionellen Entwicklung einer mittelschweren Trägerrakete nicht sonderlich viel. Elon Musk aber hat für dieses Geld gleich zwei Trägerraketen entwickelt (die leichte Falcon 1 und die erwähnte Falcon 9), zwei Startanlagen errichtet (auf der Insel Kwajalein im Südpazifik und in Cap Canaveral) und zusätzliche eine potentiell bemannbare, wieder verwendbare Raumkapsel geschaffen. Wenn heute eine nationale oder internationale Raumfahrtbehörde so ein Unternehmen in Angriff nähme, läge der Preis für dieses Fünfteile-Paket mit Sicherheit beim 10-fachen dieser Summe. Eher aber noch deutlich darüber.

Punkt vier: Die Zeitdauer. Von der Idee zur Falcon 9 bis zum Erstflug vergingen fünf Jahre. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was in der institutionell/kommerziellen Raumfahrt für so ein Projekt zu veranschlagen wäre. Seit den Tagen des Apollo-Programms ist bekannt, dass die Entwicklungsdauer unmittelbare Auswirkungen auf den Gesamtpreis eines Systems hat. Apollo blieb nur deswegen nahezu im ursprünglich vorgesehenen Zeitrahmen, weil der Endzeitpunkt unverrückbar war. Bei jedem Schritt im Entwicklungsprogramm ging man daher automatisch zur einfachsten und am schnellsten zu realisierenden Lösung über. Heute dagegen unternimmt man bei nahezu jedem Vorhaben (und das beileibe nicht nur in der Raumfahrt)den absurden Versuch, Projektkosten dadurch niedrig zu halten, dass man Programme endlos streckt, in dieser verlängerten Zeitspanne dann eine nicht enden wollende Zahl von Änderungen und neuen Forderungen einbringt und sich schließlich wundert, warum die Kosten mal wieder explodiert sind.

Punkt fünf: Warum ist Dragon so günstig und warum geht es so schnell? Anders als bei staatlichen Raumfahrtagenturen, die bei Neuentwicklungen größten Wert auf "Cutting edge-Technologie" legen, blieb Elon Musk technisch im Rahmen des Bekannten und Bewährten. Was seine Rakete betrifft könnte man sagen: Er entwickelte den VW-Bulli noch einmal. Und nicht nur beim technischen Konzept blieb er beim Bewährten. Nur ein paar Beispiele: Die Startanlage in 40 Cap Canaveral mietete er von der US-Luftwaffe für fast kein Geld. Die hatte sie eingemottet, nachdem das Titan IV-Programm eingestellt worden war. Musk übernahm auch den noch brauchbaren Teil der Infrastruktur. Den Rest bekam der Schrotthändler. Sein "Vehicle Assembly Building" ist eine bessere Wellblechbaracke. Kräne, Hebevorrichtungen, Gerüste, Transportfahrzeuge kaufte er im Baumaschinenhandel. Da kosten die etwa 4-5 Prozent einer Spezialentwicklung nach NASA-Spezifikationen. Die Rakete wird liegend integriert. Das hat er den Russen abgeschaut. Aufwendige Montagebühnen sind deshalb unnötig und damit die Leute auch nicht auf Leitern und Hebevorrichtungen steigen müssen, lässt er seine Rakete in der Montagevorrichtung rotieren wie eine Thüringer Rostbratwurst auf dem Grill vom Weihnachtsmarkt.

Punkt sechs: Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Übergabe von Verantwortung. Das ist, ich beobachte es täglich, ein absolutes Fremdwort in der institutionellen und kommerziellen Luft- und Raumfahrt. Auch noch für die kleinste Nebensächlichkeit, die Auswahl des unbedeutendsten Komponentenlieferanten, die Festlegung der kleinsten Testprozedur sind Unterschriften im Dutzend notwendig. Das Ergebnis: Wenn diese Unterschriften nach langer Zeit endlich vorliegen ist am Ende niemand mehr für das Ergebnis verantwortlich. Und wie macht es Elon Musk? Wir konnten es beobachten: Bei den Vorbereitungen der Falcon 9 wurde zwei Tage vor dem Start ein Riss in der Expansionsdüse des Zweitstufentriebwerks entdeckt. Ein Techniker, der aus Hawthorne eingeflogen worden war, besah sich die Sache und entschied die Düse um einen guten Meter zu kürzen. Er machte das auf der Startrampe, 24 Stunden vor dem geplanten Liftoff. Und siehe da, es funktionierte prächtig.

Man stelle sich einmal vor, wie die Projektleitung in der institutionellen Raumfahrt bei so einer Entdeckung hyperventiliiert hätte. Das Ergebnis wären monatelange Startverzögerungen, millionenteure Untersuchungen und Tonnen von bedrucktem Papier gewesen. Eine aufwendiger Change-Prozess mit Panels, Risiko-Reviews, internen und externen Gutachten wäre eingeleitet worden.

Bei SpaceX kletterte einfach der zuständige Techniker in die Interstage zwischen erster und zweiter Stufe, konstatierte einen "Fertigungsfehler" und schnitt das Ding kurzerhand ab. Damit hatte es sich. Die drei Sekunden an spezifischem Impuls, welche eine längere Düse gebracht hätte, konnte man bei dieser Testmission leicht verschmerzen. Niemand stellte die Expertise des Mannes in Frage.

Man kann hier nur eines hoffen: Dass dass SpaceX dieses innovative Moment beibehalten kann. Leicht wird es nicht, denn das Unternehmen wächst explosionsartig. Und Wachstum führt fast automatisch zu Trägheit. Elon Musk fing 2003 mit einer kleinen Handvoll von Mitarbeitern an. Noch 2005, als er mit der Entwicklung der Falcon 9 begann, waren es kaum 100. Derzeit beschäftigt er schon 1.200 Angestellte und das Unternehmen wächst derzeit Monat für Monat um 100 Mitarbeiter.

Es wird nicht einfach werden, das Prinzip flacher Hierarchien und großer Eigenverantwortung so konsequent weiter durchzuhalten. Dies wird eine besondere Herausforderung für das Management und die Personalführung.

Die nächste Mission einer Dragon könnte bereits zur ISS führen. Derzeit verhandelt SpaceX noch mit der NASA, ob nun noch ein weiterer Testflug stattfinden soll, bei dem die Raumkapsel nur bis in Sichtweite der ISS kommt, oder ob man bereits genug Vertrauen in das System hat, um ein "Berthing" vorzunehmen, eine Bergung der Kapsel also. Dabei soll sich die Dragon im Rahmen einer fünftägigen Mission der Station bis auf wenige Meter nähern, dann mit dem Greifarm erfasst werden und an einen der Dockingknoten der Station verbracht werden.

Und schließlich bin ich noch den "Brouère" schuldig, und das wäre dann Punkt sieben. Es war nämlich ein Europäer an Bord der Dragon, eben jener besagte "Brouère". Mit dem belegte Elon Musk, dass während des Fluges die Bedingungen im Inneren des Raumfahrzeugs angenehm und lebensfreundlich waren.  Bei dem Europäer handelte es sich um einen 12 Kilo schweren und 43 Zentimeter durchmessenden Käse aus den Vogesen. Und wie kam Elon Musk auf diese nicht grade naheliegende Idee? Nun, er ist ein Fan von Monty Pythons Flying Circus und dem Schauspieler John Cleese. Und diese Szene zeigt, was die institutionelle Raumfahrt noch von der Privaten unterscheidet: Die Vorliebe für skurillen Humor.

 

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

16 Kommentare

  1. Käse im Weltall

    Das ist ja sehr interessant. Ich frage mich, warum bei der Bundeswehr die Sachen so teuer sind und da wird es wohl ähnlich sein. Ich habe auch einige Fragen, vielleicht kannst Du sie beantworten.

    Punkt vier: Wer ist der Verursacher dieser andauernden Verzögerung? Der Auftraggeber, also die staatlichen Behörden oder die daran arbeiten? Wer arbeitet überhaupt daran? Sind das staatliche Unternehmen? Wohl eher nicht, sondern private Unternehmen, die einen stattlichen Auftrag ausführen, oder?

    Punkt fünf: Da sind die Mehrkosten verständlich, wenn man etwas komplett neues entwickelt, anstatt die Grundzüge schon zu kennen.

    Punkt sechs:

    Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Übergabe von Verantwortung. Das ist, ich beobachte es täglich, ein absolutes Fremdwort in der institutionellen und kommerziellen Luft- und Raumfahrt.

    Nicht nur da. Ich denke, je länger es ein Unternehmen gibt und je größer es ist, desto mehr Hierarchien gibt es und die eigentliche Arbeit wird auf wenige abgewältzt. Die Erfolge jedoch von den Chefs gefeiert und diesen zugeschrieben. Vielleicht gibt sich das, wenn es wirklich einen Fachkräftemangel gibt. Den haben wir aber kaum. Momentan ist das Wort Fachkräftemangel ein anderer Ausdruck für Lohndumping. 😀

  2. Sparen auf Kosten des Kunden

    Sein Vehicle Assembly Building ist eine bessere Wellblechbaracke. […] Die Rakete wird liegend integriert. Das hat er den Russen abgeschaut. […] lässt er seine Rakete in der Montagevorrichtung rotieren wie eine Thüringer Rostbratwurst auf dem Grill vom Weihnachtsmarkt.

    Damit spart SpaceX sicher eine Menge Geld und kann den Start billiger anbieten, aber allein schon die genannten Punkte sind für eine Menge Satelliten und allemal Raumsonden durchaus ein Problem. Dadurch, dass keine kontrollierten Umgebungsbedigungen und eine definierte Lage während der Integration garantiert werden können, steigen gewaltig die Anforderungen an Satelliten und Raumsonden, und damit auch die Kosten.

    Dies nur so als Randbemerkung, damit nicht der Eindruck entsteht, der Herr Musk hätte das Ei des Kolumbus, äh,… gelegt.

  3. Wer verursacht den Käse im Weltall?

    Die Beantwortung der Frage “Wer ist der Verursacher der Verzögerung” ließe epische Erörterungen zu. Ich will nur zwei Aspekte der instítutionell/kommerziellen Raumfahrt kurz anschneiden:

    Aspekt 1: Die Entscheidungswege. Stellen wir uns vor, dass während der Entwicklung einer Marssonde oder einer neu zu entwickelnden Trägerrakete klar wird, dass eine Änderung im Design eines Druckreglers notwendig wird. Das Problem wird etwa im fünften oder sechsten Level einer Projekthierarchie ihren Anfang nehmen, nämlich beim Hersteller des Reglers. Bis diese kleine Änderung in einem genau definierten, komplexen Prozess die gesamte Hierarchie hinaufläuft, ganz oben (in der Regel von der beauftragenden Raumfahrtagentur) genehmigt wird und dann zur Implementierung wieder die Hierarchie hinunterkrabbelt, vergehen in der Regel Monate. Der Hersteller des Reglers ist häufig eine kleine Spezialfirma die nicht mit ihrer Arbeit beginnen wird, bevor nicht Geld für fließt. Solange wird gewartet. Meist sind in diesem Prozess auch langwierige Neuqualifikationen notwendig oder zumindest ein Nachweis durch “Similarity”, für die aber auch eine spezielle Dokumentation verfasst werden muss.

    Der Verursacher ist in diesem Fall einfach der komplexe Prozess.

    Aspekt 2: Schwankende Finanzierung. Das Projekt wird unter einem bestimmten Finanzierungsszenario begonnen, das aber nicht durchgehalten wird. Während die Politiker mit vor Stolz geschwellter Brust kundtun, dass sie die Raumfahrtausgaben zurückgefahren haben, haben sie in Wahrheit das Vorhaben verlängert und damit gleichzeitig verteuert. In den Zeiten der Verzögerung können nur in den seltensten Fällen die Projektteams ihre Personalkosten auf andere Vorhaben “schreiben”. Da ist ein stehendes Heer, das durchgefüttert werden muss. Gleichzeitig verliert das Vorhaben an “Moment”. Ein Vorhaben mehrmals hochzufahren, das Gas wieder rauszunehmen nur um es dann wieder anzufahren ist Gift.

    Wie gesagt, es gäbe noch viele Gründe: Falsche Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe, programmatische und technische Richtungswechsel während der Entwicklungsphase, unerfahrene Projektmanager, Verpassen des optimalen Zeitpunktes für Korrekturmaßnahmen und vieles mehr.

    Ganz generell könnte man sagen: Eine starke und vor allen Dingen sehr erfahrene Projektleitung. Verantwortung, Autorität und weitreichende Entscheidungsbefugnis in einer Hand, stabile Finanzierung und ein harter Realisierungstermin. All das sind gute Voraussetzungen dafür, dass das Projekt im Kostenrahmen bleibt.

  4. Der Kunde bestimmt was es kostet

    Der Kunde, der die “all singing and dancing”-Version haben will, wird das dann auch bezahlen müssen. Am Cape muss das übrigens keineswegs SpaceX machen. Da gibt es die bewährte Firma Astrotech, die das komplette Handling auch für die wertvollste Nutzlast von der Lagerung über die Betankung bis zum Einschluss in die Fairing eines Trägers fachgerecht vornimmt. Ein “Billigheimer” ist das allerdings nicht gerade. Ich könnte mir aber vorstellen, dass da auch SpaceX irgendwann eine passende und pfiffige Idee hat.

  5. Die Sache mit der Düse und der Schere…

    Mal eben die Düse mit Brachialgewalt um einen Meter kürzen ging m.W. nur, weil die große Länge für ein stabiles Ausströmen des Gases nicht benötigt wurde – was dem Mann mit der Metallschere (und Musk natürlich) wohl irgendwie klar war. Trotzdem sollte man (und die NASA als COTS-Auftraggeber erst recht!) mal hinterfragen, wie da die Space-X-internen Entscheidungsprozesse eigentlich genau abgelaufen sind.

    Entweder wusste man längst, dass die Düse eigentlich zu lang war und hat sie bloss deswegen nicht schon längst gekürzt, weil es keinen Unterschied machen würde. Oder aber es war eine spontane (und einsame?) riskante Entscheidung, um nach etlichen Verzögerungen COTS-1 endlich von der Rampe zu kriegen – das wäre dann allerdings eine Startentscheidung nicht unähnlich einer gewissen anderen Launch Decision vor knapp 25 Jahren gewesen.

    Zeit für neue Computersimulationen des Gasflusses mit der Kurzdüse oder gar Laborexperimente dazu kann es in der extrem kurzen Zeit zwischen Entdeckung des Düsenschadens und dem Go for Launch kaum gegeben haben. Komischerweise ist dieser Aspekt bei all dem Jubel (und auch auf der PK nach dem Flug) kaum auch nur erwähnt worden – wäre allerdings was schief gelaufen, dann …

  6. Düse und Schere

    Der letzte Meter Düse ist für die Funktion des Triebwerks nicht entscheidend bringt aber noch einige wenige Sekunden mehr an spezifischem Impuls. Eine möglichst lange Düse mit hohem Expansionsverhältnis ist für den Betrieb im Vakuum optimal.

    Das ist wichtig, wenn man mit der Nutzlast am Limit ist, was aber bei diesem Flug nicht der Fall war. Während der Entwicklungsphase fährt jeder Triebwerkshersteller so einen Motor mit allem möglichen an unterschiedlich langen Düsen. Ganz ohne, kurze und lange. Ich kenne jetzt den Entwicklungsprozess bei SpaceX nicht, aber es dürfte da ähnlich gewesen sein.

    So eine Aktion ist auch nur dann möglich, wenn die Düse nicht regenerativ gekühlt ist. In diesem Fall ist es aber nichts anderes als eine einfache Metallhülse mit einer Legierung deren Hauptbestandteile wohl Kobalt und Niob sind.

    Nicht möglich wäre es dagegen, so eine Last-Minute-Modifikation an der Brennkammer vorzunehmen, dem Herzstück des Triebwerks. Das wäre dann wirklich ein Eingriff in die Thermodynamischen Prozesse gewesen.

    Dennoch: So eine hemdsärmlige Aktion hätte es bei einer institutionellen Entwicklung nie und nimmer gegeben.

  7. Was ich meinte …

    Was ich mit meinem etwas flapsigen Kommentar vorhin zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass ich nicht meine, dass gerade die hemdsärmelige Art, wesentliche Entscheidungen zu fällen und umzusetzen, unbedingt vertrauensfördernd ist.

    Wenn ein Ingenieur meint, eben mal schnell eine Änderung an der Hardware machen zu können, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder er hat Recht – dann stellt sich die Frage, warum die so geänderte Hardware denn so konstruiert worden ist, wie sie konstruiert worden ist. Oder aber, er hat Unrecht und einfach nur Glück gehabt, dass es trotzdem klappte. So sollte man aber keine Verkehrsmittel konstruieren, auf der hinterher millionenteure Hardware in eine Umgebung transportiert wird, die nicht dafüpr bekannt ist, dass sie Fehler verzeiht.

    Soviel zu diesem Punkt – ich bin dennoch der Meinung, dass SpaceX im Wesentlichen einen richtigen Weg gewählt hat, und zwar den des: “Brauchen wir das? Falls nicht unbedingt, geht es anders einfacher? Falls ja, weg mit dem Komplizierten und her mit der einfachen Lösung.” Das ist zwar nicht unbedingt technisch optimal, aber ein guter Weg zu zuverlässiger Hardware.

    Über die Kosten, die bei SpaceX-Starts wirklich anfallen, kann man endlos streiten. Beim augenblicklichen verzerrten Markt weiß ohnehin keiner, was bei einer beliebigen Raketen für Preise berechnet werden müssten, wollte man kostendeckend arbeiten.

    Für Starts ins GTO werden Kosten um 45 Millionen Dollar genannt – das ist aber im Großen und Ganzen dasselbe wie die Kosten der vergleichbaren Sojus.Die erwartete dramatische Reduktion der Startkosten sehe ich da noch nicht so ganz …

  8. Was ich meinte…

    Na, in dem Fall hatten einfach beide recht: Der für die Konstruktion der Düsenverlängerung verantwortliche Ingenieur, der die Düse für den maximal möglichen Isp auslegte, und der Techniker, der entschied, dass man das untere Teil für diesen speziellen Testflug, der nicht die volle Leistung erforderte, einfach weglassen kann.
    Über die Kosten kann man tatsächlich gut debattieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass SpaceX die 45 Millionen (Dollar !) für eine Rakete dieser Größenordnung – ein Drittel mehr Leistung als die Sojus – halten kann. Die Sojus übrigens wird von Arianespace für 85 Millionen vermarktet (Euro). Sie ist für Einzelstarts mittelschwerer Satelliten vorgesehen, zum halben Preis eines Ariane 5 ECA-Starts (für zwei Satelliten mittlerer Größe) und der wird momentan für 170 Millionen Euro gehandelt.

  9. Mathias

    Der zweite Dragon-Testflug war auch zuvor schon als Mission in die Nähe der ISS vorgesehen gewesen. Allerdings nur auf Sichtweite, ohne Bergung durch den Roboterarm der Station. Ich persönlich bin momentan auch eher der Meinung (wie der von Ihnen gelinkte Artikel), dass die NASA in der Nähe der Station kein Risiko eingehen wird, und prinzipiell auf der Erfüllung des ursprünglichen Vertrages bestehen wird. Und der sieht eine Bergung der Kapsel erst bei COTS-Testflug Nummer drei vor. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass man im Ablauf der Mission Nummer zwei Schritt für Schritt entscheidet, wie es weitergeht. Sollte die geplante Annäherung gut klappen, dann könnte man eine größere Annäherung durchführen. Sollte auch dies problemlos gehen, dann vielleicht noch einen Schritt weiter auf die Station zu und so weiter.

  10. Sojus – 85 Mio?

    Wenn Arianespace für einen kommerziellen Sojus-Start ins geostationäre Transferorbit wirklich eine Preisvorstellung von 85 Millionen Euro (deutlich mehr als 100 Millionen Dollar) hat, dann müssen die sich warm anziehen, denn dann wird es ihnen schwer fallen, sich gegen die wachsende Konkurrenz mittelschwerer Raketen durchzusetzen (Sea Launch, Land Launch, Long March, GSLV und jetzt auch Falcon 9)

  11. Hoch, aber nicht ZU hoch

    Vorläufig könnte dieser hohe Preis schon klappen: Sea Launch/Land Launch sind grade der Pleite entronnen und müssen wieder Reputation aufbauen. Zusätzlich tut das Desaster mit der Block-DM Oberstufe dem Ruf der Zenith gar nicht gut.

    Long March kann nach wie vor nur Non-Itar-Satelliten starten.

    Delta 4 und Atlas 5 stehen für kommerzielle Starts entweder gar nicht zur Verfügung oder sind viel zu teuer (die Basisversionen werden da mit 130 Millionen Dollar gehandelt). Dasselbe gilt für die japanische H-2A.

    GSLV hat eine geringe Startrate, eine kleine Nutzlastkapazität und das neue Oberstufentriebwerk hat beim Erstflug versagt.

    Die Proton ist zum einen voll ausgelastet und steht zum anderen bei den Versicherern nicht gut da. Dieser Träger hat eine konstante Versagerquote von einem Ausfall pro 20 Starts (4 bei den letzten 82). Der Träger ist somit günstig, aber die Versicherungsquoten sind hoch. Und die Löhne steigen in Russland schnell. Die Analyse eines namhaften europäischen Trägerraketenkonsortiums 🙂 hat ergeben, dass Chrunitschew für die Produktion einer Proton 2-3 mal mehr Mannstunden benötigt als besagter (aber nicht genannter 🙂 Hersteller für das europäische Konkurrenzprodukt. Das geht bei den derzeitigen Gehältern von 250-400 Dollar pro Monat noch gut aber ewig wird das nicht so bleiben.

    Bleibt die Falcon 9 und die Frage, wie schnell SpaceX jetzt die Produktion hochfahren kann. Noch sind die Ressourcen im Unternehmen für eine gleichzeitige Großproduktion der Falcon 9 und Falcon 1 und der Vollentwicklung der Dragon-Kapsel zu dünn.

    Somit schätze ich, dass die hohen (aber nicht ZU hohen) Preise für die Ariane 5 ECA und die Sojus 2.1a Fregat mindestens bis in Jahr 2013 überleben werden.

  12. Bleibt die Falcon 9 und die Frage, wie schnell SpaceX jetzt die Produktion hochfahren kann. Noch sind die Ressourcen im Unternehmen für eine gleichzeitige Großproduktion der Falcon 9 und Falcon 1 und der Vollentwicklung der Dragon-Kapsel zu dünn.

    Ein guter Käse braucht Zeit zum Reifen. 😉

  13. Eine Zeitlang mag das noch gut gehen …

    Um die Marktfähigkeit der Ariane 5 mache ich mir noch weniger Gedanken. Die haben schließlich den Vorteil der Mehrfachstartfähigkeit (sie können mehrere Satrelliten unterschiedlicher Größe und Masse mit einem Start ins GTO befördern, bis hin zu 10 Tonnen) und sind damit sehr flexibel.

    Das ist bei der Sojus schon einmal nicht so, da ist bei etwas über 3 Tonnen Schluss. Eine Menge potenzieller Kunden sind so schon einmal ausgeschlossen, die können mit Sea Launch und Land launch aber noch bedient werden, wenn die dort ihre Schwierigkeiten gelöst haben werden.

    Im Moment geht’s noch, aber die Preise werden langfristig nicht auf dem Niveau zu halten sein.

    Hinzu kommt, dass der Markt der geostationären Satelliten nicht mehr das Potenzial haben wird, das er vorher einmal hatte. Satelliten zukünftiger Netzwerke werden verstärkt auf geneigte mittelhohe Bahnen (MEOs) oder niedrige Bahnen hoher Inklination gehen.

    Dann bietet der Startort Kourou nicht nur keinen Vorteil mehr, er wird sogar zum Nachteil. Und dann wird es eng werden für den geheimnisvollen europäischen Startanbieter (ob ich noch herausbekomme, wer das sein mag?)

  14. Doppelstart

    Gerade die Doppelstartfähigkeit (die aus wirtschaftlichen Gründen auch eine Doppelstartverpflichtung ist) macht Arianespace aber auch immer wieder schwer zu schaffen. Es ist nicht einfach, zwei Satelliten zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung zu haben, die so gut zueinander passen, dass die Nutzlastkapazität der Rakete optimal genutzt wird.

    Zusätzlich geht der Trend bei den Kommunikationssatelliten auf der einen Seite zu immer schwereren Einheiten, auf der anderen Seite zu immer leichteren Vehikeln. Zu lasten des mittleren Segments. Jeweils zwei in diesen Gewichtsklassen lassen sich auf der Ariane 5 ECA nicht mehr miteinander starten.

    Man braucht also immer entweder zwei Satelliten im (derzeitig) unteren Mittelklassesegment oder einen kleinen und einen großen. Hat man schließlich ein passendes Paar beieinander, dann wird ein Satellit, der – aus irgendwelchen Gründen auch immer – nicht rechtzeitig zum Start erscheint, auch den Start des anderen Satelliten verzögern. In dem Fall drohen Arianespace Vertragsstrafen.

    Oder es ist, wie aktuell mit Hispasat 1E und Koreasat 6, dass zwar beide Satelliten rechtzeitig am Startort erscheinen aber bei einem während der Betankungskampagne ein technisches Problem auftaucht. Und schon kann Nutzlast Nummer zwei wieder nicht rechtzeitig in den Orbit gebracht werden. Das wird dann, wie ich heute früh eben in der Verlautbarung lese, mit zähneknirschender Freundlichkeit so beschrieben: “The rescheduling will enable one of Arianespace’s customers on the Ariane 5 mission to perform additional payload checks”. Und das bedeutet in Klartext übersetzt (der natürlich nicht nach außen gelangen darf): “Weil diese Vollpfosten ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, geht unser positives Geschäftsergebnis gerade den Bach runter”.

    Probleme dieser Art tauchen durchschnittlich bei einer von drei Startkampagnen auf und haben am Ende schon so manches Geschäftsjahr von Arianespace ruiniert.

    Bei der Ariane 6 wird man deshalb wieder zum Einzelstart zurückgehen und den Träger so modular gestalten dass er vom Satelliten der unteren Mittelklasse (3.500 Kilogramm) bis zum schweren Alphabus-Typen mit 9 Tonnen alles abdecken kann.

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