Kaputtgespart – die italienische Forschungslandschaft vor dem Aus?

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Astronomers do it at Night

Am 12. Juli erschien auf dem wissenschaftlichen Preprint-Server arXiv in der Unterkategorie "Instrumentation and Methods for Astrophysics" des Bereichs astro-ph eine Veröffentlichung mit dem Titel "A decline and fall in the future of Italian Astronomy?". Der Artikel behandelt keine Forschungsergebnisse wie die anderen Paper, die die Wissenschaftler dort für alle Welt frei zugänglich deponieren. Wer sich ihn aber genauer anschaute, war aufs Höchste alarmiert, sofern er nicht schon vorher von der Situation wußte, die darin beschrieben wird. Worum geht es? Die italienischen Astronomen fürchten um ihre Existenz.

Die Autoren des Textes sind 93 italienische Astronomen, darunter einige in der wissenschaftlichen Gemeinde bekannte Namen und wiederum auch welche, die ich selber mit Gesichtern verbinden kann. Alle sind an italienischen Instituten tätig, von denen viele zum großen nationalen Forschungsverbund INAF gehören, dem Instituto Nazionale di Astrofisica.

Das INAF hat bislang eine ebenso kurze wie wechselvolle Geschichte hinter sich gebracht. 2001 wurde es gegründet – als Vereinigung von zwölf astronomischen Instituten, zwei Jahre später kamen sieben weitere Forschungseinrichtungen hinzu. Der Grund der Zusammenlegung liegt auf der Hand: Durch eine gemeinsame Verwaltung wollte man Geld sparen. Welche Unannehmlichkeiten damit einhergehen aber ebenso. Erst im letzten Jahr war der Prozeß endgültig abgeschlossen und alle Formalitäten schienen geklärt. Heute hat das INAF mehr als 1000 festangestellte Mitarbeiter, davon gut 600 Wissenschaftler. Weitere 400 Forscher arbeiten auf befristeten Stellen, und nochmal 500 Astrophysiker an den Universitäten sind mit dem INAF assoziiert.

Über die Jahre hinweg mußten die INAF-Mitarbeiter mitansehen, wie ihre finanziellen Mittel schrumpften und schrumpften. Zur Zeit fließen fast 90% des verfügbaren Geldes in Gehälter und Verwaltung. Und das, wo die Löhne nicht gerade üppig sind. Ein Postdoc, also ein Wissenschaftler nach Abschluß der Doktorarbeit, muß sich in Italien häufig mit 800 Euro netto zufriedengeben. Von einem Großteil des verbliebenen Geldes werden italienische Beteiligungen an Großprojekten finanziert, zum Beispiel für das Telescopio Nazionale Galileo (TNG) auf den Kanarischen Inseln und den Beitrag zum Large Binocular Telescope (LBT). Was bleibt ist ein winziger Rest von durchschnittlich 1000 Euro pro Jahr für jeden Wissenschaftler, um seine Forschungsprojekte zu finanzieren, auf Konferenzen zu gehen oder um Kollegen zu sich einzuladen.

Als Folge der drastischen Sparmaßnahmen mußte das TNG schon zeitweise seinen Betrieb einstellen und die Beteiligung an internationalen Projekten steht auf dem Spiel. Tja, und dann ist da noch die Finanzkrise. Eine wunderbare Gelegenheit für Politiker, nach weiteren Einsparungsmöglichkeiten zu suchen und sie in die Tat umzusetzen. Während es ja hierzulande offiziell heißt, daß bei Forschung und Bildung nicht gekürzt werden soll (ob es wohl wirklich dabei bleibt?), sieht der Sparkurs der italienischen drastische Maßnahmen vor. So kam Ende Mai heraus, daß das INAF auf einer Liste von Instituten gelandet ist, die man für nutzlos hält. Das INAF sollte daraufhin mit dem Consiglio Nazionale delle Ricerche CNR verheiratet werden, der großen italienischen Wissenschaftsbehörde. Ein weiterer Versuch also, Verwaltungskosten einzusparen – und vermutlich noch weit mehr als das. Auf jeden Fall hätte es dafür gesorgt, daß die italienischen Astronomen in dieser riesigen Organisation untergegangen wären.

Immerhin, diese Katastrophe konnte abgewendet werden, fürs erste scheint das INAF gerettet. Viele andere Forschungseinrichtungen stehen aber noch immer auf der Abschußliste, und auch dem INAF stehen weitere finanzielle Einschnitte bevor. Schon jetzt stehen je zehn Wissenschaftlern, die in den Ruhestand gehen, nur noch zwei Stellen gegenüber, die neu ausgeschrieben werden. Die Astrophysik in Italien blutet aus, und das obwohl italienische Wissenschaftler zu den Besten zählen. Italienische Nachwuchswissenschaftler verlassen das Land ohne Aussicht auf Rückkehr und ausländische Forscher, die neues Knowhow nach Italien mitbringen würden, werden abgeschreckt.

Die Verzweiflung der italienischen Astronomen wird auch in dem Artikel deutlich. Mit der Aktion "Adopt an Italian Astronomer" werden ausländische Kollegen an ihren Instituten dazu aufgerufen, die Autoren als Vortragende oder Gastprofessoren zu sich einzuladen. Auf Webseite der Aktion kann man ihre Lebensläufe einsehen – Lebensläufe, die man demnächst zusammen mit eingehenden Bewerbungsschreiben wiederfinden könnte, wie es dort heißt. Auch in anderen Disziplinen greifen die Wissenschaftler inzwischen zu drastischen Maßnahmen. In Padua beispielsweise treten die Chemiker in den Hungerstreik. Hilfeschreie, die hoffentlich mehr erreichen als Aufmerksamkeit zu erregen.

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Astronomin in vielerlei Hinsicht, so könnte man mich mit wenigen Worten beschreiben. Da ist zunächst einmal die Astrophysikerin, die an der Hamburger Sternwarte über die Aktivität von Sternen promoviert und dabei hauptsächlich mit den Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton gearbeitet hat, aber auch schon am Very Large Telescope in Chile beobachten durfte. Auslöser ihres beruflichen Werdegangs war ein engagierter Lehrer, dessen Astronomie-AG sie ab der 7. Klasse besuchte. Ungefähr zur selben Zeit erwachte auch die Hobbyastronomin, die anläßlich des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levi 9 auf den Jupiter begann, mit einem russischen Feldstecher vom Flohmarkt den Tanz der Jupitermonde zu verfolgen. Heutzutage freut sie sich über jede Gelegenheit, mit ihrem 16-zölligen Dobson tief im Odenwald fernab der Lichter der Rheinebene auf die Jagd nach Deep-Sky-Objekten zu gehen. Und da Amateurastronomen gesellige Wesen sind, treffe ich mich gerne mit Gleichgesinnten, zum Beispiel zum gemeinsamen Beobachten. Auch nach meinem Umzug von der Großstadt Hamburg in das schöne Universitätsstädtchen Heidelberg halte ich engen Kontakt zu meinen Vereinskameraden von der Hamburger Gesellschaft für volkstümliche Astronomie und dem Astronomieverein meiner Jugend, dem Arbeitskreis Sternfreunde Lübeck. Seit einigen Jahren bin ich außerdem in dem Internetforum Astrotreff aktiv, wo ich Teil des Moderatorenteams bin. Um meine Faszination an der Astronomie an andere weitergeben zu können, besonders an Kinder und Jugendliche, habe ich mich seit Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, habe populärwissenschaftliche Vorträge gehalten und Schülergruppen betreut, die in Hamburg das Institut besucht haben. Diese Leidenschaft habe ich nun zu meinem Beruf gemacht. Hier in Heidelberg arbeite ich in einem kleinen aber feinen Team am Haus der Astronomie. Hiermit lade ich Sie ein, lieber Leser, an all diesen Facetten meines Astronomendaseins teilzuhaben. Mal witzig, mal spannend oder nachdenklich, manchmal auch persönlich oder mit Aha-Effekt. Carolin Liefke

1 Kommentar

  1. Erschreckend

    Wir haben selbst einen Kollegen aus Italien hier in der Arbeitsgruppe. Daher bekommen wir so einiges mit, was die Schilderungen in diesem Blogbeitrag voll bestätigt. Es ist erschütternd wie hier die “Enkel” von Galilei und da Vinci unter nahezu unmöglichen Bedingungen zu leiden haben…
    Ich hoffe sehr es gelingt genügend Öffentlichkeit zu schaffen um so auch politisch etwas zu erreichen.

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