Das Astrovirus

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Auch ich zähle zu denen, die sich seit Kindestagen für Astronomie begeistern, so wie es Andreas von sich beschreibt. Zwar bin ich nur ein – rein visuell aktiver – Astroamateur, der keine Gravitationslinsen entdeckt oder gar – wie Leonard – für umfangreiche eigene Beobachtungen zum VLT reisen wird, aber immerhin, das Astrovirus trage ich in mir. Astrovirus?

Für die überraschten Mediziner unter Ihnen, die im Pschyrembel nur den Eintrag zur "Petrophaga Lorioti" (Steinlaus) finden, aber unter "Astrovirus" nicht fündig werden: Beim Astrovirus handelt es sich um eine lebenslang andauernde Infektion, die zu teilweise merkwürdigem Verhalten der Betroffenen führt. (Zumindest sehen dies einige Außenstehende so, die (noch) nicht mit dem Astrovirus infiziert sind.) Die Infizierten reisen zum Beispiel um die Erde, um für zweieinhalb Minuten zu erleben, wie sich der Mond vor die Sonne schiebt, der Tag zur Nacht wird; und sie schwärmen von diesem Himmelsschauspiel noch Jahrzehnte später. Oder sie entsteigen in tiefster Nacht dem warmen Bette, um in klirrender Kälte fasziniert zu beobachten, wie der Erdschatten unseren Mond verdunkelt und erröten lässt. Oder sie fahren ganz einfach mit Teleskop bestückt in abgelegenste, dunkle Ecken, um dort die Nacht bis zum Anbruch der Morgendämmerung zu verbringen – mit den Sternen. Kälte kann ihnen nichts anhaben (nur Wolken…) und immer sind diese Astros Entdecker. Der Umgang mit Geld kann problematisch sein, weil Astrovirus-Infizierte ziemlich viel Geld für ihr Equipment ausgeben können, mit dem sie Planeten, Asteroiden, Kometen, Sternen, Sternhaufen, Nebeln, Galaxien etc. nachspüren. Die Inkubationszeit ist übrigens nur sehr gering. Meist genügt ein einziger Blick durch ein Teleskop – und es ist um den Infizierten unverzüglich ein für allemal geschehen.

Auch ich bin mit dem Astrovirus infiziert. Die Begeisterung für die Weiten des Universums spüre ich immer wieder neu, wenn ich mit meinem Fernglas oder Teleskop am Sternhimmel spazieren gehe. Das am weitesten entfernte Objekt, das ich mit eigenen Augen sehen kann, ist der Quasar 3 C 273 im Sternbild Jungfrau. Er ist immerhin 2,5 Milliarden Lichtjahre entfernt und – weil er rund 300 Mal so lichtstark leuchtet wie unsere Milchstraße – selbst in Teleskopen ab etwa 8" als blasser, leicht bläulicher Lichtpunkt zu beobachten.

Ich kenne viele Sterngucker, die ebenfalls vom Astrovirus nachhaltig infiziert sind. Eine ganze Industrie lebt von diesem Astrovirus, nämlich all Jene, die Astroartikel produzieren oder verkaufen. Ich bin froh über die fantastischen Astrogeräte, die es heute gibt. Und damit relativieren sich die Preise dann. Als ich in den 70er Jahren als Grundschüler begann, mich für Astronomie zu interessieren, war ein eigenes Teleskop natürlich in genau so weiter Ferne wie die Andromedagalaxie.

Vor einigen Tagen trieb mich das Astrovirus wieder nach draußen und ich war in unserer kosmischen Nachbarschaft unterwegs: M 42, der Orionnebel, ist etwa 1200 Lichtjahre von uns entfernt. Um keine Zeit zu verlieren, beobachtete ich diesen prächtigsten aller Emissionsnebel mit meinem 3,1"-Refraktor, der zwar eine begrenzte Öffnung hat, dafür ein großes Gesichtsfeld bietet. Mit einem 35-mm-Okular überblicke ich an diesem Linsen-Teleskop ein Gesichtsfeld von knapp 4,3°, bei einer Austrittspupille von 5 mm; für die vielen Objekte im Schwertgehänge des Winter-Sternbilds Orion natürlich genial. Beim Großen Orionnebel sehe ich mit eigenen Augen manche Objekte klarer als auf Astroaufnahmen. Ein Klassiker ist natürlich das Trapez, eine Sterngruppe, die auf Aufnahmen meist in Überbelichtung untergeht. Schon in einem kleinen Teleskop wie meinem 3,1"-Refraktor kann ich – bei etwas höherer Vergrößerung ab etwa 40fach – die vier zwischen 5,1 und 8 mag hellen Sterne des Trapez gut auflösen (bei zweien handelt es sich um Veränderliche, sie sind mal besser, mal weniger gut sichtbar). Steigere ich die Vergrößerung bis 79fach (bei einer AP von 1 mm), so erkenne ich auch die beiden mit 11 mag schwächeren Komponenten E und F. Die Zentralregion von M 42, die "Huyghensregion", in der sich das Trapez als Zentralgestirn findet, grenzt sich deutlich ab. Astronomisches Beobachten spielt sich immer an der Grenze zur Wahrnehmungsfähigkeit ab, weshalb ich in jeder Beobachtungsnacht neue Details entdecke. Gerade der Orionnebel bietet unendlich viele Entdeckungsmöglichkeiten. Für meinen eigenen Hausgebrauch fertige ich meist Zeichnungen bzw. Skizzen dessen an, was ich beobachte. Vergleiche ich frühere Skizzen des Orionnebels mit jüngeren, so ist mir klar, dass meine persönliche Entdeckungsreise in diese Sternengeburts- und Kinderstube nie enden wird.

Ach ja, nicht etwa heute – am 29. Februar – ist der Schalttag des Gregorianischen Kalenders! Wie ich erst kürzlich zu meinem Erstaunen las, ist nämlich der 24. Februar jener Tag, der nach der Regel des bei uns seit 1582 gültigen und durch Papst Gregor XIII. eingeführten Kalenders immer dann verdoppelt wird, wenn es sich um ein Jahr handelt, auf das folgende Merkmale zutreffen: Schaltjahre sind alle Jahre, die durch 4 ohne Rest teilbar sind. Keine Schaltjahre sind, die durch 100 ohne Rest teilbar sind. Alle Jahre, die durch 400 ohne Rest teilbar sind, sind wiederum Schaltjahre.

Clear Skies… Stefan Oldenburg

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

2 Kommentare

  1. Visuelles Erlebnis

    Hallo Stefan!

    Danke für den Link zu meinem Blog! 🙂 Es ist natürlich sehr faszinierend am VLT zu sein und mit einem oder mehreren der Großteleskope zu messen. Aber das hat wirklich mehr mit einer physikalischen Messung zu tun, als mit dem Naturerlebnis Beobachten. Die Spannung, die man vor Ort spürt ist zum Einen die der wissenschaftlichen Neugier, aber es kommen noch die technischen Unwägbarkeiten dazu: Ist die Quelle hell genug und das Wetter ausreichend stabil? Funktionieren alle Subsysteme? Die wissenschaftlichen Ergebnisse der in der Nacht gewonnenen Daten sind oft erst Wochen und Monate danach ausgewertet und interpretierbar.

    Das visuelle Betrachten, etwa von feinen Strukturen im Orion-Nebel in einer kalten Nacht bei guter Sicht, ist dagegen ein unmittelbares Astro-Erlebnis, das auch ein zum VLT Reisender wie ich immer wieder sucht… 🙂

    In diesem Sinne… Clear skies!
    Leonard

  2. VLT

    Hallo Leonard,

    danke für Deinen Kommentar! Freilich ist mir klar, dass mit Großteleskopen nicht in dem Sinne “beobachtet” wird, wie es Amateurastros machen. 🙂 Von “Naturerlebnis” ist beim Sammeln von Daten mit diesen Riesengeräten sicher keine Spur, klaro. Ich las einmal den spannenden Bericht eines Astronomen, der Nacht für Nacht am 3,60-Meter-Teleskop auf La Silla arbeitete. Und hatte er einmal eine freie Nacht, so verbrachte er diese meist mit visuellen Beobachtungen an seinem Amateurteleskop… 🙂

    Ich wünsche Dir ganz viel Erfolg und beste und stabilste atmosphärische Verhältnisse bei Deinen Beobachtungsnächten am VLT, den “Pyramiden der Neuzeit”!

    Viele Grüße und Clear Skies! Stefan

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