Tele Vue Ethos 13 mm

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Das Ultraweitwinkelokular Tele Vue Ethos 13 mm war, als es 2007 am Markt erschien, das erste Okular mit hundert Grad scheinbarem Gesichtsfeld. Inzwischen hat Tele Vue weitere Okulare dieser Baureihe (6, 8, 10, 17 mm) vorgelegt, denen eines gemeinsam ist: Der Beobachter gewöhnt sich schnell an das nahezu unbegrenzte Gesichtsfeld, weshalb ihm Weitwinkelokulare mit einem Gesichtsfeld von 70 Grad und selbst Nagler-Okulare im direkten Vergleich eigenartig einengend erscheinen.

Für "Sterne und Weltraum" 9/2008 schrieb ich einen Artikel über dieses erste Ethos-Okular, das erstaunliche Eigenschaften vereint. An dieser Stelle richte ich erneut den Fokus auf dieses Okular, weil sich die teilweise heftig geführten Diskussionen über Sinn oder Unsinn von 100-Grad-Okularen mittlerweile legten, im Netz aber noch immer erstaunlich wenig objektive Berichte über dieses Okular zu finden sind. Das 13-mm-Ethos ist bislang mein einziges Okular dieser Baureihe geblieben – und wird es wohl auch vorerst bleiben, es sei denn, ich gewinne im Lotto.

Die Geschichte der Weitwinkelokulare ist erst jung und wurde maßgeblich von Al Nagler, dem Begründer amerikanischen Optik-Schmiede Tele Vue Optics, geschrieben. Al Nagler ist Namensgeber jener Okular-Linie mit einem scheinbaren Gesichtsfeld von 82 Grad, die mit inzwischen sechs Typen und Brennweiten zwischen 2,5 mm und 31 mm recht umfangreich und bei Sternguckern beliebt ist. 30 Jahre nach Firmengründung und 25 Jahre nach Einführung der Nagler-Linie legte Tele Vue 2007 das erste Okular mit 100 Grad scheinbarem Gesichtsfeld vor.

Mein Exemplar des Ethos 13 mm ist mit einer Länge von 14,4 Zentimetern und einem Durchmesser von 6,5 Zentimetern ein relativ großes Okular, aber kein Schwergewicht. Mit seinen 580 Gramm lässt es sich an einem gut balancierten Dobson-Teleskop problemlos einsetzen. Die Verarbeitung ist makellos und sehr hochwertig. Schon Mitte 2008 brachte Tele Vue eine um 1,5 mm schmalere Version des Ethos-13-mm heraus, die sich auch für die Nutzung an binokularen Ansätzen eignet.

Das Okular verfügt neben einer 1 1/4-Zoll-Steckhülse über einen Zwei-Zoll-Überwurf. Eine Schraube im Zwei-Zoll-Anschluss dient der Fixierung des Okulars in 1 1/4-Zoll-Auszügen oder Zenitspiegeln etc. Doch Vorsicht beim Ausschrauben von Filtern aus der 1 1/4-Zoll-Steckhülse: Leicht kann man beim Ethos 13 mm – ähnlich wie bei anderen Tele Vue-Okularen – die gesamte Hülse mit der Feldlinse losschrauben, was zu einem teuren Linsensalat führen würde.

Durch seine Innenschwärzung und die Linsenvergütung ist das Ethos 13 mm innen völlig dunkel und frei von Streulicht und Reflexionen. Bezüglich des Linsenaufbaus dieses Okulars hüllt sich der Hersteller Tele Vue in Schweigen. Nur soviel ist bekannt: Die Anzahl der Linsen beziehungsweise optischen Elemente liegt bei mindestens neun.

Das Ethos 13 mm an meinem Drei-Zoll-Refraktor: Das Okular ist mit einem Gewicht von 580 Gramm leichter, als es seine Größe vermuten lässt, und überfordert dieses Instrument und auch meinen 10-Zoll-Dobson nicht. (Foto: Stefan Oldenburg)

Erste Eindrücke

Ende Dezember 2007 war es soweit: Nach drei Monaten Wartezeit erhielt ich mein Exemplar des Tele Vue Ethos 13 mm und tauchte noch am selben Abend in den Sternhimmel ab. Obwohl es leicht bewölkt war, richtete ich meinen Drei-Zoll-Refraktor (f/6,9) mit dem neuen Okular im Zenitspiegel auf den prächtigsten aller Emissionsnebel, den Großen Orionnebel Messier 42. Schon die ersten Blicke beeindruckten mich. Vor dem dunklen Himmelshintergrund zeichneten sich feinste Details ab, und doch schwebte der Gasnebel innerhalb eines tatsächlichem Gesichtsfelds von 2,3 Grad als Ganzes vor mir. So eindrucksvoll hatte ich M 42 zuvor noch nicht gesehen.

An meinem Drei-Zoll-Refraktor ergibt die Okularbrennweite von dreizehn Millimetern eine 43fache Vergrößerung. Das im hellen zentralen Teil des Nebels befindliche Trapez aus vier Sternen mit Helligkeiten zwischen 5,1 und 8 mag war damit klar aufzulösen. Das Klischee vom Blick aus dem Bullauge eines Raumschiffs trifft tatsächlich zu, so mein erster Eindruck an diesem Abend. Nur die Farbe fehlt. Mich überraschte auf Anhieb die hohe Abbildungsleistung des Ethos am kleinen Refraktor: Nadelpunktfeine Sterne bis an den Rand des Gesichtsfelds. Nach diesem ersten Test war ich gespannt auf Beobachtungen mit meinem Spiegelteleskop. Für den Einsatz meines Zehn-Zoll-Dobsons (f/5) waren Wetter und Seeing in dieser ersten Nacht zu schlecht. Inzwischen habe ich eine komplette Saison mit diesem Okular beobachtet, vor allem an zwei Dobsons mit Öffnungen von 10 und 12 Zoll, und immer wieder zwischendurch an meinem Drei-Zoll-Refraktor.

Alle Theorie, die ich mir seit der Bestellung des Okulars ausgemalt hatte, war von der Praxis schon nach den ersten Beobachtungen eingeholt. Das scheinbare Gesichtsfeld dieses Okulars ist subjektiv noch erheblich größer, als ich es von Nagler-Okularen mit einem scheinbaren Gesichtsfeld von 82 Grad bis dahin kannte. Ich lernte schnell, dieses Okular so zu nutzen wie es gedacht ist: Mit ruhender und nicht mit hektisch wandernder Pupille. Klassischer Anfänger-Fehler mit einem Ethos ist es, bis zum Rand und mit unnatürlich verdrehten Augen zu schauen, dass es schmerzt.

Das Ethos 13 mm an meinem 10-Zoll-Dobson, auf dem oberen Bild mit Telrad und Winkelsucher, eine Sucher-Kombination, die ich als perfekt empfinde (Fotos: Stefan Oldenburg)

Die weiche, ausklappbare Gummiaugenmuschel des Ethos 13 mm schmiegt sich gut an die Gesichtskonturen und ermöglicht bequeme, lange Beobachtungen. Das Einblickverhalten ist für Brillenträger leider nicht optimal, weil mit Brille und eingeklappter Augenmuschel nicht das gesamte Gesichtsfeld einsehbar ist. Die meisten Brillenträger werden dieses Okular aber ohne Sehhilfe nutzen, zumal eventueller Astigmatismus bei Austrittspupillen zwischen zwei und drei Millimetern nicht ins Gewicht fällt. Die 15 Millimeter Pupillenabstand sind für den Einblick ohne Brille gut und lassen den Rand einsehen. Tele Vue bietet mit seiner vor die Augenlinse zu schraubenden Korrekturlinse "Dioptrx" Brillenträgern auch beim Ethos eine Möglichkeit zum individuellen Ausgleich ihres Astigmatismus an. Ich habe diese Lösung allerdings selbst bislang nicht ausprobiert, zumal diese Dioptrx-Linsen nicht gerade günstig sind. Notwendiger könnten sie eher schon am Ethos 17 mm sein, das eine größere Austrittspupille liefert.

Panoramafenster zum All

Das Ethos 13 mm vereint mehrere Eigenschaften, die im Zusammenspiel ein besonderes Okular ergeben: Das Gesichtsfeld ist bei mittlerer bis hoher Vergrößerung beziehungsweise mittlerer bis kleiner Austrittspupille nahezu unbegrenzt. Durch das große Gesichtsfeld ist der Beobachter mittendrin. Der Blick für das Ganze bleibt erhalten, obwohl mehr Details erkennbar sind. Die mittlere bis kleine Austrittspupille erhöht zudem den Kontrast zwischen Objekt und Hintergrund. Nebel oder Galaxien erscheinen dadurch deutlicher. Der Beobachter nimmt den Rand des Gesichtsfeldes beim Blick durch das Ethos kaum wahr. Somit entspricht das Betrachten dem natürlichen Sehen, weil auch das menschliche Auge keine Begrenzung kennt. Das Ethos ist kein Okular, mit dem man sein Auge angespannt bis zum äußersten Rand verdreht. Im Gegenteil – das unverkrampfte Beobachten über lange Zeiträume hinweg ist hiermit besonders gut möglich.

Am Himmel zeigt das Okular keine störenden Aufhellungen und eine gute Transmission. Die anvisierten Objekte erscheinen in ihre Himmelsumgebung eingebettet, so treten Kugelsternhaufen wie M 13 oder M 3 noch imposanter hervor. Auch bei großflächigen Deep-Sky-Objekten bleibt die Natur der Himmelsobjekte erkennbar: So zeigen sich die offenen Sternhaufen h und chi Persei oder die Plejaden wie durch ein Fernglas betrachtet als Ganzes. Im Drei-Zoll-Refraktor füllen die Plejaden das Gesichtsfeld nicht vollständig aus, und der Reflexionsnebel NGC 1435 um Merope glimmt deutlich. Auch andere offene Sternhaufen wie M 36, 37 oder 38 zeigen sich in ungewohnter Weise, weil sie noch als solche erkennbar sind, aber Details zeigen, die mit kleinerer Vergrößerung nicht sichtbar sind.

"Dobsonauten" erleichtert das Ethos das Auffinden von Himmelsobjekten. Selbst die Nachführung schnell beweglicher Objekte ist am Dobson-Teleskop möglich. In mancher Beobachtungsnacht verfolgte ich mit dem Ethos im Okularauszug Satelliten auf ihrer schnellen Bahn über das Firmament. Natürlich eignet sich das Ethos besonders für große Öffnungen, bei denen das maximal erreichbare wahre Gesichtsfeld naturgemäß klein ist. Deshalb dürfte das Okular auch für die Suche nach Kometen nützlich sein.

Tabelle: Das Tele Vue Ethos 13 mm an einigen Teleskopen, im Vergleich mit anderen Okularen

Die Tabelle enthält für einige Teleskope beispielhaft neben dem Ethos 13 mm Angaben für zwei weitere Okulare, die alle am jeweiligen Teleskop ein nahezu gleich großes tatsächliches Gesichtsfeld ergeben. Durch ein 25-Millimeter-Plössl-Okular betrachtet, erscheint ein Objekt nur halb so groß wie im Ethos 13 mm, und selbst das 19-Millimeter-Weitwinkelokular bildet nur mit rund zwei Drittel der Vergrößerung des Ethos ab.

Das Ethos 13 mm bildet Sterne an Teleskopen mit einem Öffnungsverhältnis von f/5 über das gesamte Gesichtsfeld punktförmig und scharf ab, und seine Abbildungsleistung ist selbst bei f/4 fast bis zum Rand erstaunlich gut. Im Vergleich zu anderen Okularen ist ein Komafehler nur am äußersten Rand wahrnehmbar. An einem Drei-Zoll-Teleskop mit geringerem Öffnungsverhältnis, an dem ich das Ethos 13 mm einsetzte (f/6,9), ist die Abbildungsleistung bis zur Feldblende perfekt. Durch die Austrittspupille von 2,6 Millimeter bei f/5 beziehungsweise 1,9 Millimeter bei f/6,9 wirkt der Himmelshintergrund relativ dunkel, und Deep-Sky-Objekte erscheinen kontrastreich. Tagbeobachtungen am Drei-Zoll-Refraktor offenbaren eine leichte Bildfeldwölbung und eine deutlichere kissenförmige Verzeichnung. Bei Deep-Sky-Beobachtungen und selbst am Mond und an Planeten fällt beides jedoch nicht störend auf.

Altbekanntes in neuem Licht

Mit dem Galaxienpaar M 81 und M 82 im Sternbild Großer Bär versuche ich mich an zwei Objekten, die ich selbst mit einem Übersichtsokular oft nicht auf Anhieb finde. Durch das Ethos am Zehn-Zoll-Dobson-Teleskop hingegen sehe ich sie mit einem Grad tatsächlichem Gesichtsfeld und vor dunklem Hintergrund sofort: M 81 als ovalen Nebelhalo und nördlich davon die langgestreckte irreguläre Galaxie M 82 mit ausgeprägten dunklen Streifen. Ein kleiner Schwenk, und ich habe eines der beiden Objekte zentriert, um im Okular mit kürzerer Brennweite weitere Details zu erspähen. Mit einer Austrittspupille von zwei bis drei Millimetern nimmt das Auge bereits 70 bis 80 Prozent der maximalen theoretischen Auflösung wahr. Das Ethos 13 mm ist somit ein guter Kompromiss auch für jene Nächte, in denen das Seeing eine höhere Vergrößerung nicht zulässt.

Besonders prachtvoll zeigen sich im Ethos die beiden in Wechselwirkung stehenden Galaxien NGC 5194 und NGC 5195 im Sternbild Jagdhunde, deren größere der französische Astronom Charles Messier (1730 – 1817) als M 51 in seinen Katalog aufnahm. Das auch als Whirlpool-Galaxie bekannte Sternsystem offenbart Detail- und kontrastreich seine ausgeprägte Spiralstruktur.

Der Mond nimmt im Dobson-Teleskop die Hälfte des Gesichtsfelds ein, beim Drei-Zoll-Refraktor ein Viertel. Die Kombination von mittlerer Vergrößerung und fehlender Begrenzung führt hier zu einem plastischen Eindruck, der mit einem 70-Grad- oder selbst einem 82-Grad-Okular nicht zu erzielen ist. Der Mond ist im Zehn-Zoll-Teleskop als Ganzes sichtbar und ich bin ihm so nahe wie ein Apollo-Astronaut kurz vor dem Eintritt in den Mond-Orbit. Bei schmaler Mondsichel ist die unbeleuchtete Hemisphäre kontrastreich zu sehen, und keine Reflexe stören das Bild.

Das Ethos 13 mm "völlig losgelöst". Brillenträger sollten ohne Brille durch das Ethos 13 mm beobachten; der Augenabstand ist mit 15 mm nicht üppig. Die meisten Brillenträger werden dieses Okular ohnehin ohne Sehhilfe nutzen, zumal eventueller Astigmatismus bei Austrittspupillen zwischen zwei und drei Millimetern nicht ins Gewicht fällt. (Fotos: Stefan Oldenburg)

Seine Vorteile spielt das Ethos 13 mm vor allem an Kugelsternhaufen, planetarischen Nebeln und Galaxien aus. Die Beobachtung großflächiger Objekte sowie von Objekten geringer Flächenhelligkeit erfordert hingegen Okulare längerer Brennweite und eine große Austrittspupille. Solche Okulare ersetzt das Ethos nicht. Aber auch bei dieser Anwendung lohnt es, das Ethos im Wechsel mit anderen Okularen auszuprobieren, zumal seine kleine Austrittspupille den Kontrast zum Himmelshintergrund erhöht und dadurch die Wahrnehmbarkeit flächenhafter Objekte begünstigt.

Der Preis für dieses Okular pendelte sich nach diversen Schwankungen im Hochpreissegment bei derzeit rund 570 EUR ein. Wer es sich leistet, kann sich über besondere Beobachtungserlebnisse freuen, die mit dem Ethos 13 mm möglich werden: Es eröffnet dem Beobachter durch das Zusammenspiel von unbegrenztem Gesichtsfeld, mittlerer Vergrößerung und kleiner Austrittspupille bei hervorragender Abbildungsleistung einen neuen Kosmos und setzt damit einen hohen Maßstab. Neben seinem Preis hat dieses revolutionäre Astro-Werkzeug einen weiteren Nachteil: Es macht süchtig, mit ihm auf nächtliche Entdeckungstour am Sternhimmel zu gehen.

Clear Skies! Stefan Oldenburg

Das Tele Vue Ethos 13 mm im Überblick

Brennweite: 13 mm
Scheinbares Gesichtsfeld: 100 Grad
Pupillenabstand: 15 mm
Anschluss: 1,25" und 2"
Linsenaufbau: mindestens neun Linsen/Elemente
Länge: 144 mm
größter Durchmesser: 65,5 mm (mit Gummiring)
63,5 mm (ohne Gummiring)
Gewicht: 580 g
Preis: ca. 570 Euro (5/2009)
Hersteller: Tele Vue Optics, Inc.
Website: www.televue.com

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

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