GRBs zur Vermessung des Universums

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Die KOSMOlogger Stefan Oldenburg und Helmut Dannerbauer  berichteten vor kurzem als zwei der ersten Autoren im deutschsprachigen Internet von einem spektakulären Himmelsereignis, dem Gammastrahlenausbruch GRB080319b. Bei dieser Explosion eines massereichen Sterns, einer Hypernova, breitete sich eine gerichtete, extrem energiereiche Explosionswelle aus, die astronomisch in vielen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums beobachtbar war. Das Besondere am GRB080319b war, dass er der hellste seiner Art im Optischen war – so hell, dass er im Prinzip mit bloßem Auge für einige Sekunden am Himmel sichtbar war. Vermutlich hat dies niemand bewusst wahrgenommen. Die scheinbare Helligkeit war dafür zu nah an der Sichtbarkeitsgrenze für das menschliche Auge.
Ich möchte den Aufsehen erregenden Gammastrahlenausbruch (engl. gamma-ray burst, GRB) zum Anlass nehmen, um etwas über die Rolle der GRBs für die Kosmologie zu schreiben. 

Extreme Helligkeiten
GRB sind die leuchtkräftigsten Himmelsereignisse im Kosmos. Ausgedrückt in Leuchtkräften, einer astrophysikalischen Messgröße mit der Einheit einer Leistung (Energie/Zeit), erreichen GRBs bis zu 1053 erg/s, wohingegen die leuchtkräftigsten Quasare (=aktive Galaxienkerne, also Materie verschlingende, superschwere Schwarze Löcher in den Zentren einiger Galaxien) bis zu 1048 erg/s und Supernovae bis zu 1045 erg/s schaffen.
Der GRB080319b übertrumpfte mit einer absoluten Helligkeit von etwa -38 Magnituden mit Leichtigkeit die hellsten Quasare, die höchstens etwa -31 Magnituden haben. Wem die Magnituden nicht so viel sagen, der sollte sich folgenden Vergleich auf der Zunge zergehen lassen: Hätte sich der GRB080319b in einer Entfernung 1800 Parsec bzw. knapp 6000 Lichtjahren ereignet, so wäre er so hell wie die Sonne gewesen! 6000 Lichtjahre sind schon eine recht ordentliche Entfernung; die Scheibe unserer Milchstraße durchmisst gut 100.000 Lichtjahre. Tatsächlich war der GRB080319b etwa 7,5 Milliarden Lichtjahre entfernt, d.h. als sich das Explosionslicht auf den Weg machte, gab es noch keine Erde!
Diese "Superhelligkeiten" der GRBs machen sie zu kosmischen Ereignissen, die Astronomen als kosmische Leuchtfeuer ausnutzen könnten, um einerseits das ferne Universum zu studieren und andererseits das Universum selbst zu vermessen. Wie funktioniert das?

GRBs als Distanzmesser
Gammastrahlenausbrüche ereignen sich statistisch verteilt überall im Universum, seit es Sterne gibt. Damit kann man diese Leuchtfeuer sterbender Sterne nutzen, um die Entwicklung von Sternen, den Anteil chemischer Elemente (Metallizitäten) und die Eigenschaften des expandierenden Universums zu testen. Astronomen machen das mit GRBs in sehr unterschiedlichen Entfernungen – und testen somit sehr unterschiedliche kosmische Epochen.
Die Entfernung der GRBs folgt entweder (falls beobachtet) aus dem charakteristischen Nachleuchten (engl. afterglow) oder daraus, dass die Astronomen die Distanz der Galaxie kennen, in der sich der GRB ereignete. Ende 2007 waren die Entfernungen von etwa hundert GRBs bekannt. Der NASA-Satellit Swift, der extra zur Erforschung von GRBs gebaut wurde, lieferte allein 60 Prozent aller bekannten GRB-Distanzen. Astronomen drücken die Entfernung in der kosmologischen Rotverschiebung z aus. Sie rangiert bei den mit Swift entdeckten GRBs zwischen z = 0,033 und z = 6,29. Die Theorien prognostizieren, dass die länger dauernden Bursts auch bei deutlich höheren Rotverschiebungen auftreten können. Freilich wird die Beobachtung dann schwieriger.

Bedeutung der GRBs für Galaxienentstehung und Lochwachstum
Bei jedem GRB entsteht ein sternschweres (=stellares) Schwarzes Loch. Das ist ein wichtiger Sachverhalt, weil gängige Modelle in der Astrophysik diese "Saatlöcher" benötigen. Astronomen gehen davon aus, dass aus den weit entfernten (d.h. auch vor Milliarden von Jahren entstandenen) stellaren Schwarzen Löchern durch Materieaufsammlung die supermassereichen Schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien im nahen Universum wurden. Über Milliarden von Jahren wuchsen die einige zehn Sonnenmassen schweren Saatlöcher zu den Millionen bis Milliarden Sonnenmassen schweren Massegiganten heran. Gewissermaßen sind nach dieser Hypothese die GRBs die Geburtshelfer der Galaxien. 
 
Ghirlanda-Relation
Im Jahr 2004 wurde ein besonderer Zusammenhang beim Studium vieler GRBs entdeckt, die so genannte Ghirlanda-Relation [1]. Sie stellt eine enge Beziehung zwischen der kollimationskorrigierten Energie des Bursts, der Maximalenergie der GRB-Strahlung und der Rotverschiebung her. Die kollimationskorrigierte Energie meint die Energie des Bursts, die man erhält, wenn man berücksichtigt, dass die Burstenergie in einem gerichteten Materiestrahl (dem Jet) steckt, der einen gewissen Öffnungswinkel hat. Die Energie des Bursts steckt demnach nicht gleichermaßen in allen Richtungen, sondern nur entlang der Jetachsen. Wissenschaftlich gesprochen: GRBs sind anisotrope Explosionen. Nimmt man die Ghirlanda-Relation als gegeben an, so sind kosmologische Rotverschiebungen ableitbar. Nachteil dieser Methode ist, dass sie aufwendige Nachbeobachtungen (nämlich zur Messung des Jet-Öffnungswinkels der aus den Afterglows folgt) erfordert. Die Astronomen honorieren das Gewicht dieser entdeckten Ghirlanda-Relation mit mittlerweile 212 Zitierungen des Papiers.

Firmani-Relation
Später, im Jahr 2006, wurde ein weiterer Zusammenhang entdeckt: die Firmani-Relation [2]. Sie setzt drei Größen zueinander in Beziehung, die nur mit der anfänglich abgestrahlten Gammastrahlung des Bursts zu tun haben. Das sind die nach allen Richtungen abgegebene Maximalleuchtkraft, die Maximalenergie und die Dauer der anfänglichen Gammastrahlung. Sie besagt anschaulich, dass die GRB-Leuchtkraft umso höher ist, je größer die Maximalenergie der prompten Emission und je kürzer die Zeitskala des GRB-Aufblitzens ist.
Nun, wozu das Ganze? Das Tolle: Die Firmani-Relation kann auch dazu benutzt werden, um die Rotverschiebung eines GRBs zu bestimmen. Selbst wenn kein Nachleuchten beobachtet wurde und damit auf diese Weise keine Rotverschiebung bestimmt werden konnte, folgt die Rotverschiebung aus der Firmani-Relation, die nur die Kenntnis von Charakteristika der anfänglichen Gammastrahlung erfordert!

GRBs als "Standardkerzen"
Die gerade vorgestellten Relationen erlauben eine sehr nützliche Untersuchung der Energetik von GRBs. Gammastrahlenausbrüche könnten sich als sehr brauchbare Indikatoren für die Entfernung – Astronomen nennen sie "gute Standardkerzen" (engl. standard candles) – erweisen. Das wäre deshalb so aufregend, weil Supernovae (Typ Ia) maximal bis z ~ 2 als Entfernungsmesser genutzt werden können – für größere Entfernungen sind sie zu leuchtschwach. GRBs als gigantischste Sternexplosionen im Kosmos sind jedoch auch bei solch großen Distanzen noch beobachtbar.

Vermessung des Universums ist keine Zukunftsmusik mehr
Klingt toll – kann man das durchziehen? Ja. 2004 ist es chinesischen Astronomen gelungen, für ein paar GRBs die kosmologischen Parameter übereinstimmend mit den Supernovamessungen zu bestimmen [3]. Nur die Statistik der GRB-Messungen muss noch verbessert werden (nur 1 sigma). Der "proof of concept" ist für mein Gefühl erbracht.

Fazit
Im Prinzip funktionieren Studium und Vermessung des Universums mit Gammastrahlenausbrüchen [4]. Doch bei allen Erfolgen, die Swift bislang geboten hat, benötigen die GRB-Forscher zwei Dinge: Erstens mehr Ereignisse, d.h. mehr beobachtete GRBs; und zweitens ein Teleskop, das einen breiteren Spektralbereich abdeckt. Damit gelänge eine bessere Untersuchung der bislang gefundenen Relationen. Diesen Anforderungen ist die Mission GLAST gewachsen, die voraussichtlich Mitte Mai 2008 ins All geschossen wird.

Wichtiger Nachtrag am 05.04.2008
Neben den beiden hier beschriebenen Relationen (Ghirlanda-, Firmani-) gibt es eine dritte, die Amati-Relation. Die Amati-Relation wurde von allen Beziehungen als erste entdeckt, nämlich 2002. Sie setzt die in alle Richtungen abgestrahlte (d.h. isotrope) Gesamtenergie des Ausbruchs in Beziehung zu der Maximalenergie der GRB-Strahlung. Mir erschien die Ergänzung dieser Relation in diesem Blogbeitrag als unnötige Komplexität, so dass ich mich entschied, die Amati-Relation außen vor zu lassen.

Bei der Vorbereitung zu diesem Blogbeitrag habe ich mir einmal die Resonanz der wissenschaftlichen Community auf die wissenschaftlichen Publikationen ("Papers") zu allen drei Relationen (Amati-, Ghirlanda-, Firmani-) angeschaut. Mit Publikationsdatenbanken wie SAO/NASA Astrophysics Data System (ADS) kann jeder feststellen, in wie vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Papers zu den drei Relationen erwähnt wurden. Diese Art der Referenzierung ist in den Wissenschaften von großer Bedeutung, misst die Referenzierung doch die Beachtung des Papers in der wissenschaftlichen Community. Deshalb gilt der simple Grundsatz: Je mehr Referenzierungen (Zitierungen, "Citations" im Jargon), umso wichtiger/beachteter war die Veröffentlichung.

Nun, was kam bei den Citations der drei Papers heraus? ADS ergibt Folgendes: Amati hat 330, Ghirlanda hat 211 und Firmani nur 37 Zitierungen. Das Paper zur Kosmologie mit GRBs als Standardkerzen von Dai et al. hat überraschenderweise auch nur 54 Zitierungen. Wir schließen: Aus irgendeinem Grund misst die GRB-Community den Papers von Firmani et al. und Dai et al. keine so große Bedeutung zu. Ihr "Impact" ist nicht so hoch. Warum ist das so?

Ich bin kein GRB-Forscher, so fragte ich einen anerkannten GRB-Forscher um Rat. Er meint, dass der Inhalt des Firmani-Papers nicht wirklich neu ist, weil die wesentlichen Aspekte bereits in den beiden Papers von Amati et al. und Ghirlanda et al. stehen würden. Folglich werden Amati/Ghirlanda beachtet und zitiert, während Firmani ignoriert wird.
Das Papier von Dai et al. wird kaum zitiert, weil die Community skeptisch ist. Die Astronomen sind noch nicht überzeugt, dass die GRBs wirklich gute Standardkerzen sind – vor allem, weil immer mehr GRBs entdeckt werden, die klar von der Charakteristik einer Standardkerze abweichen.

Insofern bremsen die Experten meinen Enthusiasmus, den ich mit meinem Blogbeitrag verbreite. Dennoch hoffe ich, dass die GRB-Physik so gut verstanden wird, dass Astronomen mit GRBs Kosmologie betrieben werden kann. Die Abbildung 3 aus [4], nachfolgend abgebildet, hat mich einfach sehr zuversichtlich gestimmt. Dargestellt ist der Distanzmodul (scheinbare minus absolute Helligkeit) über der kosmologischen Rotverschiebung, die ein Maß für die Entfernung ist. Entlang der Kurve sind 117 anerkannte Standardkerzen, die Supernovae Typ Ia (rot) und 19 GRBs (blau). Man erkennt sehr schön, wie nach rechts,  zu großen Entfernungen hin, die GRBs die SN Ias ablösen und zu neuen Werkzeugen der Kosmologie werden. Aber offensichtlich wurden in diesen Plot "nur gute GRBs" eingetragen und nicht die Abweichler von der Standardkerze. Deshalb ist die positive Aussage des Plots mit Vorsicht zu genießen.

Ich wollte den Lesern der KOSMOlogs zur objektiven Beurteilung des Sachverhalts diesen Nachtrag nicht vorenthalten.

Quellen:
[1] Ghirlanda et al., ApJ 616, 331, 2004
[2] Firmani et al., MNRAS 370, 185, 2006
[3] Dai et al., ApJ 612, L101, 2004
[4] Konferenzbeitrag von Avila-Reese et al. 2008, Vorabveröffentlichung unter arXiv:0802.2578
[5] Amati et al., A&A 390, 81, 2002

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

2 Kommentare

  1. GRBs und Aliens

    Hallo Andreas,

    zur Vermessung des Universums mit GRBs fällt mir die gut zum heutigen Datum passende ironische Hypothese ein, die ich das erste Mal von Thorsten Enßlin (MPA) gehört habe: Vielleicht sind GRBs ja von hoch entwickelten Aliens entworfene Experimente, um eben die Geometrie des Universums zu klären? Schließlich sind sie extrem leuchtstark und stark kollimiert und damit über sehr weite Strecken zu sehen. Außerdem ereignen sich die meisten im frühen Universum, wo wohl ein entsprechender Forschungsantrag auf Gelder für GRB-Explosionen größere Erfolgschancen hatte, da das Universum damals noch kleiner war und man daher schneller mit einem von der entgegenengesetzten Seite zurückkehrenden Lichtstrahl rechnen konnte, sollte das Universum periodische Randbedingungen aufweisen…

    April-Grüße aus Heidelberg!
    Leonard 😉

  2. @Leo – Gar keine schlechte Idee.

    Hallo Leo,

    ich nehme die ironische Hypothese einmal ernst und schreibe Folgendes:
    Als SF-Fan finde ich diese Hypothese gar nicht so schlecht. GRBs sind extrem leuchtkräftig und sehr breitbandig, um gut von anderen Bewohnern im Kosmos gesehen werden zu können.
    Dass die Aliens das GRB-Signal senden UND empfangen können, kann ich mir selbst bei geeigneter Topologie des Universums (den periodischen Randbedingungen) kaum vorstellen. Beim Durchlaufen des Universums passiert ja einiges mit einem Photon…
    Was auch gegen den Alien-Ursprung spricht, ist, dass in das das Signal offenbar keinerlei Botschaft (à la “Wir sind hier drüben, links von der Wega.”) moduliert wurde.
    Vielleicht sind wir aber auch einfach zu blöd, um die Aliens zu verstehen? 😉

    Gruß,
    Andreas

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