Konkret: Schulfächer und ihr Bezug zur Astronomie

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Die Astronomie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft – insbesondere ist sie mehr als nur Physik. Um das konkret zu belegen, möchte ich im Folgenden anhand von Schulfächern darstellen, welchen Bezug sie zur Astronomie haben. Das kann von Nutzen sein, um beispielsweise im Rahmen der Woche der Schulastronomie vom 9. bis 13. November 2009 im jeweiligen Schulfach die Brücke zur Astronomie zu schlagen.
Ich beschränke mich dabei auf Themen, die Schülern adäquat vermittelt werden können und die einen Bezug zum aktuellen (bayerischen) Lehrplan haben können. In Klammern dahinter vermerke ich die Jahrgangsstufe (Jgst.) und den offiziellen Titel im Lehrplan.

Physik
Klar, die Gesetze des Himmels sind vor allem Gesetze der unbelebten Natur. Die Physik ist die zentrale Naturwissenschaft, um die Abläufe im Kosmos zu beschreiben. Hier eine Auswahl astronomischer Themen mit Bezug zur Schulphysik: 

  • Das Sonnensystem und die Planeten. Hand anlegen: Herstellung eines maßstabsgetreuen Modells (PDF zum Ausdrucken und Basteln) (Grundschule, 2. Klasse)
  • Der Herr der Unterwelt Pluto wird zum "Unterplaneten" (Grundschule, 2. Klasse)
  • Erde und Mond: Entstehung des Monds, Gezeiten, Finsternisse (Grundschule, 2. Klasse)
  • Ekliptik, Jahreszeiten und Tierkreiszeichen. Experimente mit Lampen und Kugeln (Grundschule, 3. Klasse)
  • Vom Kepler-Fernrohr zum modernen Teleskop (Jgst. 7 "Licht und Schatten")
  • Die Phasen des Mondes und der inneren Planeten  (Jgst. 7 "Bilder bei Spiegeln und Linsen")
  • Das elektromagnetische Spektrum von Radiowellen bis TeV-Photonen (Jgst. 7 "Farben")
  • Das Licht der Sterne: Grüne, rote und blaue Sterne (Jgst. 7 "Farben")
  • Ausblick auf Quarks und Leptonen (Jgst. 8 "Teilchenmodell der Materie")
  • Von Sternplasmen zu exotischen Materiezuständen: Ultradichte Neutronensternmaterie und Quark-Gluon-Plasma (Jgst. 8 "Gase, Flüssigkeiten, feste Körper"). Dazu ein Rechenbeispiel (Aufg. 1 im PDF) aus unserer Lehrerfortbildung 2009.
  • Der Urknall – Die höchsten Temperaturen im Universum und die Zahlenwerte der Planck-Skala (Jgst. 8 "Temperatur und Teilchenbewegung")
  • Absorptions- und Emissionslinien  (Jgst. 9 "Energiestufen und Photonen")
  • Neutronenstern: Neutronisierung der Materie im inversen Betazerfall (Jgst. 9 "Radioaktivität und einfache Kernreaktionen")
  • Neutrinos: Geisterteilchen aus dem Innern der Sonne (Jgst. 9 "Radioaktivität und einfache Kernreaktionen")
  • Modelle von Licht 1: Lichtstrahlen. Experiment: Demonstration des Photo-Effekts (Jgst. 10 "Wellen- und Teilchencharakter von Licht")
  • Modelle von Licht 2: Lichtwellen. Experiment: Demonstration des Poisson-Flecks hinter einer Kugel (Jgst. 10 "Wellen- und Teilchencharakter von Licht")
  • Das erste Licht: Ursprung der kosmischen Hintergrundstrahlung vor 13,69 Mrd. Jahren (Jgst. 10 "Wellen- und Teilchencharakter von Licht")
  • Gravitation: Dominierende Kraft, die die größten Strukturen schafft. Vom Sonnensystem über die Milchstraße zu Galaxienhaufen und Superhaufen (Jgst. 10 "Die Newton’schen Gesetze im allgemeinen Fall")
  • Relativität von Länge und Zeit (Jgst. 11 "Relativitätstheorie")
  • Der relativistische Kosmos: Ein Leben in einer gekrümmten Raumzeit (Jgst. 11 "Relativitätstheorie")
  • Das Noether-Theorem: Erhaltungsgrößen und Symmetrien (Jgst. 11 "Energie und Impuls")
  • Kosmologie: Dunkle Energie, Dunkle Materie und die Zusammensetzung des Kosmos (Jgst. 12 "Atomaufbau und Elementarteilchen")

Im bayerischen G8-Lehrplan heißt es: "Technische Entwicklungen und naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind wesentliche Elemente der menschlichen Kulturgeschichte und deshalb unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung." Ganz genau! Also lassen Sie uns doch bitte im Schulunterricht die Zeit nehmen, das zu verstehen.

Mathematik
Keine Naturwissenschaft ohne Zahlen. Die Mathematik liefert die wesentlichen Sätze und Methoden, um naturwissenschaftliche Berechnungen durchzuführen.

  • Die Platonischen Körper. Geometrische Ursprünge der Astronomie (Jgst. 5 "geometrische Grundbegriffe")
  • Strahlensatz und Berechnung des Erdumfangs (Jgst. 8 "Strahlensatz")
  • Die scheinbare Größe der Himmelsobjekte. Definition der Parallaxensekunde pc (Jgst. 9 "Trigonometrie im rechtwinkligen Dreieck")
  • Die Kegelschnitte und Bahnen von Himmelskörpern: Kreis, Ellipse, Parabel, Hyperbel (Jgst. 9 "Kegel")
  • Kepler-Gesetze und Newton‘sche Gravitation: Berechnung der Sonnenmasse (Jgst.10 "trigonometrische Funktionen")
  • Koordinatensysteme: Globus, Himmelskoordinaten, Karten und Mollweide-Projektion (Jgst. 11/12 "Koordinatengeometrie im Raum")
  • Entfernungsmodul, scheinbare und absolute Helligkeit (Jgst. 11/12 "Logarithmusfunktion")
  • Grundlagen von Schwarzen Löchern: Ereignishorizont, marginal stabile Bahn, Akkretion (Jgst. 11/12 "Wurzelfunktion")

Chemie
Auch die Chemie hat viel mit Astronomie zu tun, kommen doch alle chemischen Elemente vom Urknall, aus den Sternen und Sternexplosionen.

Biologie
Die Naturwissenschaft vom Leben hat auch etwas mit dem Kosmos zu tun. Was ist überhaupt Leben und welche Bedingungen müssen für Leben herrschen? Gibt es außerirdisches Leben?

  • Fremde Welten: Extrasolare Planeten wie 51 Peg & Co, Entdeckungsmethoden, Suche nach Leben mit Beispiel SETI-Projekt (Jgst. 8 "Leben auf der Erde")
  • Die Kohlenstoffchemie des Lebens (Jgst. 8 "Evolutionstheorie")
  • Die Erdatmosphäre als Motor des Lebens (Jgst. 8 "Evolutionstheorie")
  • Miller-Experiment (Jgst. 9 "Genetik")

Geschichte
Naturwissenschaftliches Wissen beeinflusst die technologische und kulturelle Entwicklung der Gesellschaft. Umgekehrt ermöglicht erst ein gewisses Maß an Hochkultur naturwissenschaftlichen Kenntnisdrang. Die Geschichte ist reich an Beispielen, die dieses Wechselspiel abbilden.

  • Ursprung der Astronomie im Zweistromland/Babylonien (Jgst. 6 "Frühe Hochkulturen")
  • Kultur und Wissenschaft der Maya, Ägypter (Jgst. 6 "Ägypten")
  • Mythologien der Sternbilder (Jgst. 6 "antikes Griechenland")
  • Zeitalter der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert: Rationalismus; Bezug zum Liberalismus und aufkommenden demokratischen Selbstverständnis; Revolutionen in Europa (Jgst. 7+8 Übergang vom "Absolutismus" zum "Europa des 19. Jahrhunderts")
  • Raumfahrt und Mondlandung (Jgst. 9 "Ost-West-Konflikt" und "Kalter Krieg")
  • Globale, multinationale Kooperation am Beispiel der Internationalen Raumstation ISS (Jgst. 10 "Ende des Ost-West-Konflikts")

Religion
Gibt es ein übergeordnetes, vielleicht sogar transzendentes Wesen, das die Ursache von allem ist? Oder benötigen die Menschen einen solchen Schöpfer gar nicht? Schließen sich Religion und Naturwissenschaften aus?

  • Gottesbilder vor dem Hintergrund moderner Naturwissenschaften (katholische Religionslehre Jgst. 5 "Wie Menschen sich Gott vorstellen")
  • Der Urknall und der Ursprung von Allem (katholische Religionslehre Jgst. 8 "Gottes Schöpfung"; evangelische Religionslehre Jgst. 8 "Leben in Gottes Schöpfung")
  • Lässt die Naturwissenschaft Raum für Religion und Gott? (katholische Religionslehre Jgst. 11/12 "Glaube und Vernunft in geschichtlichen und heutigen Kontexten"; evangelische Religionslehre Jgst. 11/12 "Die Frage nach Gott")

Deutsch
Die Sprachen bieten ein weites Feld, um sich diskursiv mit einem Thema zu befassen – auch mit Themen aus der Astronomie.

  • Mythologien der Sternbilder (Jgst. 6 "Stoffe der Antike")
  • Referate zu astronomischen Themen (Jgst. 7+8 "Kurzreferat")
  • Science-Fiction-Aufsätze (Jgst. 11/12 "Arbeiten am eigenen Stil" und "Gedanklich anspruchsvolle Texte")

Philosophie (nicht auf dem bay. Lehrplan)
Wie funktionieren Naturwissenschaften überhaupt und wie sicher ist all das erworbene Wissen? Gibt es Wissenssprünge in den Kulturen und falls ja, unter welchen Voraussetzungen?

  • Die wissenschaftliche Methodik:  Verifikation oder Falsifikation von Hypothesen (Popper’sche Wissenschaftstheorie)
  • Theorie und Experiment/Beobachtung
  • Theoriebildung in den Naturwissenschaften
  • Paradigmenwechsel und wissenschaftliche Revolutionen
  • Was ist Zeit?

Die Breite der Astronomie: Verstreuen oder bündeln?
Diese vielfältige Auswahl belegt nicht nur die Interdisziplinarität der Astronomie, sondern zeigt einen unmittelbaren Ansatzpunkt für Lehrerinnen und Lehrer, um Astro-Themen im ohnehin vorgeschriebenen Lehrplan zu integrieren – und das für alle Jahrgangsstufen! Ein Test würde sich in der Schulwoche der Astronomie vom 9.-13. November anbieten. (Für Münchner Schulen: Falls Sie einen kommunikativen Wissenschaftler zu einem speziellen Astro-Thema einladen möchten, kontaktieren Sie bitte den Exzellenzcluster Universe der TU München. Wir vermitteln gerne. Für Schulen außerhalb Münchens: Nutzen Sie die IYA-Referentensuchmaschine, um Wissenschaftler für Ihr Wunschthema zu finden und kontaktieren zu können.)
Umgekehrt könnte man all diese Themen in einem Schulfach Astronomie unterrichten. Wie der Lehrplan aussehen könnte, zeigen die Beispiele in den östlichen Bundesländern, in denen es das Schulfach Astronomie gab bzw. gibt, z.B. in Brandenburg (PDF Seit 35) bzw. Mecklenburg-Vorpommern (PDF Seite 21-28) und Thüringen.

Nicht nur Theorie, auch Praxis zählt
Ein Highlight wäre es, auch einen praktischen, astronomischen Unterricht zu vermitteln, d.h. mit Teleskopen zu beobachten. Das wäre sowohl tagsüber, als auch nachts möglich. Eine Orientierung am Sternenhimmel ist nicht nur praktisch im Alltag, sondern macht auch Spaß. Der Besuch eines Planetariums, einer Sternwarte oder einer wissenschaftlichen Institution mit Forschungsschwerpunkt Astronomie rundet das Angebot ab.

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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

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