Pro Schulfach Astronomie

BLOG: Einsteins Kosmos

Vom expandierenden Universum bis zum Schwarzen Loch
Einsteins Kosmos

Physik und Mathematik sind Schulfächer, die relativ unsexy daher kommen. Trockene Zahlen, komplizierte Naturgesetze und Experimente, zu denen man ein Beobachtungsprotokoll schreiben soll. So habe ich in den 1980er Jahren das Schulfach Physik erlebt. Dreißig Jahre später, so höre ich, hat sich das nicht unbedingt verbessert – schlimmer noch: Schulphysik sei zu einem "Laberfach" verkommen, weil man sie ihrer Formeln beraubt habe. Hat das noch etwas mit einer naturwissenschaftlichen Grundausbildung zu tun?

Astronomie als Motivator
Das muss nicht sein. Vor allem nicht im internationalen Jahr der Astronomie, IYA. Ich wünsche mir, dass man im IYA begreift, dass die Astronomie hier einen attraktiven Ansatz bietet. Astronomie – das sind sternklare Beobachtungsnächte, Dimensionen am Rande des Vorstellbaren, Planeten mit neuen Welten, explodierende Sterne, Schwarze Löcher und der Anfang im Urknall. Astronomie ist auch Spekulatives wie Paralleluniversen, außerirdisches Leben und Wurmlöcher – ziemlich verrückte Geschichten eben.

Die Breite der Astronomie
Die Astronomie ist nicht nur Himmelskunde, nicht nur Sterne gucken – sie ist eine sehr interdisziplinäre Disziplin. Moderne Astronomie behandelt Fragen nach der Natur des Lebens und wie es sich auf Planeten entwickeln kann (Planetologie, Biophysik, Exobiologie); sie stellt die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung von Sternen und Galaxien (Stellar- und Galaxienphysik); aber sie widmet sich auch dem großen Ganzen, nämlich wie das Universum selbst entstand und welcher Dynamik es unterliegt (Kosmologie; Kosmogonie). Astronomie dringt von diesen Erscheinungen des Makrokosmos auch in den Mikrokosmos vor, nämlich dann, wenn sie das Licht der Gestirne zu beschreiben versucht (Spektroskopie, Photometrie, Strahlungsphysik) oder wenn es auf  die ganz frühen Phasen kosmologischer Entwicklung kommt. Dann behandelt Astronomie den Ursprung der chemischen Elemente (Kernphysik) und der Kräfte und Elementarteilchen (Teilchenphysik, Gravitationsphysik); sie dringt sogar an die Grenzen physikalischer Beschreibung in eine Ära der Planck-Physik vor (z.B. String- und Feldtheorien). Der Facettenreichtum der physikalischen Astronomie bietet sich in hervorragender Weise an, um in den Schulunterricht integriert zu werden. Im Prinzip gibt es kein physikalisches Konzept, das nicht in Bezug zu einem astronomischen Thema steht. Diesen Umstand sollten sich Physiklehrer zunutze machen, um im Deckmäntelchen der Astronomie physikalisches Wissen zu vermitteln: anschaulich, bebildert, verständlich, faszinierend, erstaunlich und sexy.

Dieser Bereich ist sicherlich sehr dominiert von der Physik, doch da ist noch mehr. Die Bedeutung der astronomischen Erkenntnisse führt uns auch zu den Geisteswissenschaften. Astronomie inspiriert uns darüber nachzudenken, was beispielsweise Raum, Zeit und Materie ist, was den Beobachter in der Physik auszeichnet und was Unteilbarkeit, Unendlichkeit und Punktförmigkeit auszeichnet. Hier nimmt die Astronomie Züge der Philosophie an. Und da die Astronomie von Menschen gemacht wird, berührt sie auch die Disziplinen Geschichte und Kulturwissenschaften, die uns z.B. den Wandel von naturwissenschaftlichen Weltbildern in einem sozio-kulturellen Kontext vorführen. Natürlich kommen wir auch auf Fragen nach der Schöpfung, so dass Astronomie und Theologie in einen spannenden Dialog kommen. Gibt es einen Gott? Oder kann man die Welt selbstkonsistent nur mit nüchternen Naturgesetzen erklären?

Astronomie in Schulen
An den gerade geschilderten Zusammenhängen erkennt man, dass es ein Verlust wäre, die Astronomie auf die Astrophysik zu reduzieren. Astronomie ist mehr und sie regt an, sich über viel mehr Gedanken zu machen. Die Beschäftigung mit der Astronomie erzieht dazu fächerübergreifend zu lernen und zu denken. Ist das nicht ein ganz zentrales Lernziel für unsere Kinder und Jugendliche? Sollen Heranwachsende zu Fachidioten erzogen werden oder wollen wir breit gebildete Alleskönner, die den Blick auf das große Ganze nicht verlieren und die selbstständig ihr Berufsleben in die Hand nehmen können?

Im Zuge dieser Fragestellung wurden Stimmen nach einem Schulfach Astronomie laut. Aber ist das in Zeiten von G8, von gekürzten Lehrplänen und von Lehrermangel nicht eine verwegene Forderung? Mag sein. Ich als ausgebildeter Astrophysiker, der nicht in den Genuss eines Schulfachs Astronomie kam (und sehr darunter litt), finde Gefallen an der Idee. Ich weiß aus Erfahrung, dass uns ein Schulfach Astronomie so viel mehr bringen kann, als ein doch sehr eingeschränkt bildendes Fach, von denen wir viele in der Schule haben. Astronomie bringt Breite und Tiefe.

Ich bin allerdings auch der Meinung, dass die Forderung nach einem Schulfach Astronomie an eine sehr sorgfältige und vollständige Überarbeitung der Lehrpläne in Schulen zu knüpfen ist. Ich weiß, dass sich Kultusministerien außerordentlich schwer mit der Einführung neuer Fächer tun. Das ist im Prinzip gut so, denn es sorgt für eine gewisse, jahrelange Kontinuität im Schulsystem und für Vergleichbarkeit der über Jahre erbrachten Leistungen von Schülern.

Es muss sichergestellt sein, dass die Schüler eine solide Grundausbildung in wichtigen Hauptfächern wie Deutsch, Englisch und Mathematik erfahren. Erst dann kann man sich darüber unterhalten, ob neue Schulfächer wie Astronomie eine Bereicherung darstellen. 

Lassen Sie uns doch bitte mit einem scharfen Blick diejenigen Bundesländer anschauen, die bereits das Schulfach Astronomie seit 1959 realisiert haben. Das sind Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Dagegen gibt es seit 1972 in den Oberstufen von Bayern und Baden-Württemberg eine paar Unterrichtsstunden Astronomie und Kosmologie. Lassen Sie uns in eine ganz offene Diskussion unter Schuldirektoren, Lehrern, Eltern, Schülern, Didaktikern, Physikern und Astronomen gehen, um herauszufinden, welche Ansätze unser Bildungssystem befruchten könnten. Ich meine, die Astronomie gehört dazu.

Im Rahmen des IYA findet von 9.-13.11.09 die Woche der Schulastronomie in ganz Deutschland statt. Wir sollten alle diese Woche nutzen, um uns vom Potenzial zu überzeugen, das in einem astronomischen Unterricht steckt. Auch der Exzellenzcluster Universe der TU München wird sich an diesen Aktivitäten beteiligen und kommunikative, qualifizierte Wissenschaftler an Schulen entsenden. Wäre schön, wenn Ihre Schule mitmacht!

  • Veröffentlicht in: IYA
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Die Astronomie ist faszinierend und schön – und wichtig. Diese interdisziplinäre Naturwissenschaft finde ich so spannend, dass ich sie zu meinem Beruf gemacht habe. Ich bin promovierter Astrophysiker und befasse mich in meiner Forschungsarbeit vor allem mit Schwarzen Löchern und Allgemeiner Relativitätstheorie. Aktuell bin ich der Scientific Manager im Exzellenzcluster Universe der Technischen Universität München. In dieser Tätigkeit im Forschungsmanagement koordiniere ich die interdisziplinäre, physikalische Forschung in einem Institut mit dem Ziel, Ursprung und Entwicklung des Universums als Ganzes zu verstehen. Besonders wichtig war mir schon immer eine Vermittlung der astronomischen Erkenntnisse an eine breite Öffentlichkeit. Es macht einfach Spaß, die Faszination am Sternenhimmel und an den vielen erstaunlichen Dinge, die da oben geschehen, zu teilen. Daher schreibe ich Artikel (print, online) und Bücher, halte öffentliche Vorträge, besuche Schulen und veranstalte Lehrerfortbildungen zur Astronomie, Kosmologie und Relativitätstheorie. Ich schätze es sehr, in meinem Blog "Einsteins Kosmos" in den KosmoLogs auf aktuelle Ereignisse reagieren oder auch einfach meine Meinung abgeben zu können. Andreas Müller

9 Kommentare

  1. Eine weitere Motivierungsmethode:

    Viele Techniker und Naturwissenschaftler wurden durch die Science Fiction zu ihrer beruflichen Laufbahn motiviert, und einige Techniker und Naturwissenschaftler schreiben sogar selbst wieder Science Fiction (das ging mir auch so).

    Kurt Mahr (Klaus Mahn, Cecil O. Mailer) war Physiker (Werke z.B.: Krieg der Milchstraßen, Der lange Weg zur Erde).

    Karl-Herbert Scheer war Marine-Ingenieur (Werke z.B.: Expedition, ZbV-Serie).

    Univ.-Prof. Dr. Friedrich Hecht (Manfred Langrenus) war Geo-Chemiker (Werke z.B.: Reich im Mond, Im Banne des Alpha Centauri).

    E. E. “Doc” Smith war Lebensmittelchemiker (Werke z.B.: Lensmen und Skylark).

    Jesco von Puttkamer ist ein deutscher Wissenschaftler, der für die NASA arbeitet (Werke z.B.: Das Zeit-Manuskript, Die sechste Phase).

    Dozent Erich Dolezal war Astronom (Werke z.B.: RS 11 schweigt, Mond in Flammen, Unternehmen Mars).

  2. “Laberfächer” ….

    Ihren Ausführungen ebenso wie denen des von mir sehr geschätzten Herrn Clausnitzer, der auch als Biograph des Astronomen Wilhelm Tempel bekannt ist, möchte ich mich vollinhaltlich anschließen.

    Leider ist es offenbar einfacher, das Schulfach Astronomie abzuschaffen, als es einzuführen, wie sich in den neuen Ländern gezeigt hat.

    Auch ihrem Misstrauen gegenüber “Laberfächern” schließe ich mich an, wenn auch die Proliferation von naturwissenschaftsfernen Inhalten in sich als wissenschaftlich definierenden Bereichen ein Indiz dafür ist, dass sich hier ein kaum noch aufzuhaltender Trend etabliert hat.

  3. Alter Hut

    Das Astronomie irgendwie mehr ist als bloße Sternguckerei, wusste auch schon der alte Epikur: “Es ist nicht möglich, sich von der Furcht hinsichtlich der wichtigsten Lebensfragen zu befreien, wenn man nicht Bescheid weiß über die Natur des Weltalls, sondern sich nur in Mutmaßungen mythischen Charakters bewegt.” Auch in diesem Sinne: Pro Astronomie an Schulen!
    Allerdings finde ich es auch sehr gut, dass in dem Blogbeitrag die “solide Grundausbildung in wichtigen Hauptfächern wie Deutsch, Englisch und Mathematik” betont wird. Man muss sich nämlich schon fragen, ob abgesehen von diesen Grundlagen, das Prinzip Schulfächer überhaupt noch zeitgemäß ist. Ich finde es einfach traurig, dass die Naturwissenschaft in der Schule in Fächer zerhackstückelt wird. Projekte wären vielleicht besser, oder?

  4. Das gleiche Lied seit 30 Jahren…

    Schule und Bezug zum wirklichen Leben – das wurde schon vor Jahrzenhten verlangt. Ich erinnere mich noch gut an meinen Deutschlehrer, der sich über den Schund, den ich mal in der Pause las, ausgelassen hat. Ich solle doch was Richtiges lesen. In Händen hielt ich Asimov.

    Dann die Physik, z.b. die optischen Gesetze. Ein paar Experimente zu konvexen und konkaven Linsen, das wars. Aber kam der Lehrer auf die Idee ein simples Teleskop zu bauen? Oder hätte der Lehrplan das her gegeben?

    Und heute, mit G8, ist das erst recht Träumerei. Die Kinder müssen schon vieles von dem streichen, was vorher irgendwie noch mit der Schule vereinbar war. Kinder- und Jugendarbeit leidet überall darunter. Und natürlich auch der Unterricht an den Schulen: die Lehrer gehen kein Risiko ein, der Stoff muß ja irgendwie abgearbeitet werden, und daß die Schüler durch den Druck auch nicht besser werden muß ignoriert werden.

    Ich komme langsam zu der Erkenntnis, daß man Kinder nur noch während der Kindergarten- und Grundschulzeit für Themen begeistern kann, die auch mal ein wenig Zeit kosten – solange sie in der Schule keine Ganztagsbetreuung geniessen. Danach bleibt schlicht keine Zeit, zumindest was die Gymnasiasten angeht. Und mal komplett Nicht-PC: sie stellen den Löwenanteil der Astro-Enthusiasten.

  5. Ausbruch aus dem Teufelskreis

    Die Fächerstrukturen kann man mit Blick auf einen systematischen Lernprozess und das „Fassungsvermögen eines Lehrerkopfes“ nicht dauerhaft verlassen. Wenn aber die meisten Lehrer (aller Fächer) den Kosmos betreffende Kompetenzen hätten, könnten Sie aus dem Motivationspotenzial der Astronomie schöpfen und ihren Unterricht interessanter gestalten. Die Saurier und der Kosmos faszinieren Grundschüler besonders und gehören daher in die Lesebücher. Aber selbst dann, wenn die Schüler in den verschiedenen Fächern bis zur Klassenstufe 9 viele astronomische Fragmente ansammeln könnten, hätte der französische Mathematiker und Astronom Henri Poincaré (1854-1912) noch immer recht:
    „Die Wissenschaft Astronomie besteht aus Fakten wie ein Haus aus Backsteinen, aber eine Anhäufung von Fakten ist genauso wenig Astronomie wie ein Stapel Backsteine ein Haus ist.“
    Das Fach Astronomie ist unumgänglich, um den Kosmos betreffende (auch von den Medien gelieferte) Bausteine in eine Systematik zu bringen und damit anwendungsbereit zu machen. Würde es heute in allgemein bildenden Schulen als Pflichtfach eingeführt, könnten in zehn Jahren junge Lehrer (aller Fächer) astronomische Inhalte in ihren Unterricht einbinden und ihn dadurch interessanter machen. So könnte man dem Teufelskreis einer weitgehend vom Kosmos abgeschotteten Bildung entrinnen. Der Zeitbedarf bei zwei Jahreswochenstunden Astronomie in Klasse 10 ist 0,6% der Unterrichtsstunden der gesamten Schulzeit!

  6. Danke, Andreas!!!

    ich bin zutiefst beeindruckt, dass ich hier lese, was ich in den letzten Jahren (seit 2006) wie eine Gebetsmühle immer wieder an verschiedene Leute schrieb (in papierner und elektronischer Form).

    So ganz falsch kann es ja dann doch nicht sein, was ich mir da dachte.

    (jeder Mensch braucht Feedback)

    ABER: Mathematische Formeln sind n i c h t unsexy! Das sehe ich seit 11 Jahren jedes Jahr im ASL und seinen Vorgängern.

  7. Mathematische Formeln

    Gleichungen beschreiben das Verhalten der Materie, aber sie verursachen es nicht.

    Ich frage mich, wodurch das Verhalten der Materie in der physikalischen Realität bewirkt wird.

    Auch ein Stein fällt nicht deshalb hinunter, weil v = g * t und s = ( g / 2 ) * t^2 beträgt, sondern weil er mit der Masse der Erde irgendwie wechselwirkt.

  8. @all

    Vielen Dank an alle für die rege Diskussion! Statistisch repräsentativ ist es nicht, aber ich lese in Ihren Zeilen viel Zustimmung zur Astronomie in der Schule.

    Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Diskussion am Ball bleiben und insbesondere in der Astro-Schulwoche im November unter großer Beteiligung in den Dialog treten – insbesondere mit Verantwortlichen, d.h. Kultusministerien, Schuldirektorien und der Lehrerschaft.

    Wir haben hier ein Potenzial, das wir im Interesse unserer Kinder nutzen sollten.

    Beste Grüße,
    Andreas Müller

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