Stinkfreie Unterwäsche – Spin-Off der ISS-Forschung

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Es ist keine ganz taufrische Nachricht, aber sie hat doch einige Implikationen, die zu denken geben – diese möchte ich mit dem geneigten Leser teilen.

(Read this article in English here)

Zunächst zur Nachricht selbst: der japanische Astronaut Koichi Wakata, seit März 2009 Mitglied der Langzeitbesatzung der ISS, unterzog eine neuartige Unterwäsche einem Intensivtest unter Einsatzbedingungen. Der Stoff dieser Unterwäsche ist mit einer hauchdünnen Spezialbeschichtung versehen, die die bakteriellen Zersetzung von Schweiß unterbindet und damit geruchshemmend wirkt. Nach Wakatas Aussage war selbst nach einer Tragedauer von einer Woche noch keine olfaktorische Auffälligkeit festzustellen … und zwar natürlich nicht nur ihm selbst (das allein würde nicht viel aussagen, derartige Geruchsentwicklung wird bekanntlich vom Verursacher erst zuletzt festgestellt), sondern von seinen Kollegen.

Noch bemerkenswerter – obwohl in Presseartikeln selten erwähnt – ist, dass die Entwickler dieses zweifelsohne nützlichen Produkts sich auch einer weitaus größeren Herausforderung gestellt haben, wie die nebenstehende Abbildung beweist, nämlich der Anwendung ihrer Beschichtung auf stinkfreie Socken. Die Tatsache, dass an dieser Front noch kein Durchbruch vermeldet werden konnte, gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Entwicklung hier auf Schwierigkeiten gestoßen ist und noch weiterer Aufwand erforderlich ist.

Soviel zur eigentlichen Nachricht.

Folgendes fällt mir dazu ein:

Die Entwicklung der Klamotten und nach meiner Kenntnis auch die eigentliche Idee entstammt der Kyoto Women’s University. Das Entwicklungsteam wurde geleitet von Yoshiko Taya, offenbar einer Expertin für Raumfahrtergonomie  sowie menschliche Physiologie und ihre Veränderungen unter Einfluss von Bedingungen, wie sie bei der bemannten Raumfahrt vorherrschen.

Bevor man die entsprechende Entwicklungsarbeit leistet, muss man zunächst erst einmal darauf kommen. Ich meine, es ist kein Zufall, dass so eine Idee von einem von einem Frauenteam ausgeht … vielleicht ist das Problembewusstsein in diesem Punkt bei Männern einfach generell etwas weniger ausgeprägt? Die männliche Hälfte der Weltbevölkerung sollte sich die in dieser Tatsache verborgene unterschwellige Botschaft zu Herzen nehmen.

Die absolut überwiegende Mehrzahl der Berichterstattung beschränkte sich darauf, sich über diese Leistung lustig zu machen. Bestenfalls etwas für die Seite “Vermischtes” oder die Sammlung der “Odd News”. Ist das schlau? Ist Spott gerechtfertigt? Ist es nicht vielmehr so, dass man hier ein schwieriges Problem angegangen ist und es anscheinend gelöst hat (setzen wir mal voraus, dass man das Problem mit den Socken auch noch in den Griff kriegt).

Die Materialbeschichtung muss leicht, flexibel und chemisch stabil sein. Sie darf weder allergische Reaktionen noch mechanische Hautreizungen hervorrufen. Sie muss scheuerfest und waschstabil sein, und gleichzeitig darf sie die Aufnahmefähigkeit des Gewebes für Schweiß nicht herabsetzen. Das alles klingt erst einmal eher noch einer hochgradig nicht-trivialen Aufgabe. Weiß irgendwer das zu würdigen? Falls ja, dann fällt diese Würdigung sehr zurückhaltend aus.

Ich meine, dass es einen großen Markt für eine solche Technologie gibt, der weit über die Raumfahrtanwendung hinausgeht – ein klassischer Spin-Off eben. Es geht bei diesem Markt auch nicht allein um Extremsportler und medizinische Sonderfälle wie Patienten, die aufgrund ihres Zustands zu eingeschränkter Körperhygiene gezwungen sind oder solche, die trotz intensiver Hygienemaßnahmen nicht ihr Geruchsproblem in den Griff bekommen. Viel größer dürfte der potenzielle Kundenkreis beispielsweise der Vielreisenden in diesen Zeiten zunehmender Globalisierung sein, die nach einer vielstündigen Flugreise zu einer Konferenz müssen und dort nicht gleich mit ihrer ganz persönlichen Duftnote vorstellig werden wollen.

Wie auch immer, es gibt offenkundig vielfältige Anwendungsbereiche und damit einen breiten Kundenkreis für solche Produkte, und diejenigen Vertreter der Bekleidungsbranche, die heute noch meinen, das alles nicht Ernst nehmen zu müssen, könnten eines Tages feststellen, dass sie in einem durch das Aufkommen einer revolutionären neuen Technologie veränderten Marktumfeld ruckzuck weg vom Fenster sind, verdrängt durch andere, die da etwas weitblickender agieren.

Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

6 Kommentare

  1. Ausscheidungen der Haut

    Hautschuppen, Hautfett, verschiedene Salze, Harnstoff, und einige sonstige Ausscheidungen der Haut werden sich in dieser Unterwäsche anhäufen, und zwangsläufig ihre Saugfähigkeit und Luftdurchlässigkeit herabsetzen.

  2. Nicht unbegrenzt tragbar

    Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand von einer unbegrenzten Verwendbarkeit solcher Wäsche ausgeht, dieses Ziel anpeilt oder gar behauptet, es erreicht zu haben.

    Was dagegen offenbar im operationellen Einsatz erzielt wurde, ist eine einwoechige Tragedauer ohne die sonst zu erwartenden olfaktorischen Wirkungen. Deutlich mehr als ich mit _________ Feinripp jemals hinbekommen habe.

    Für den Einsatz unter irdischen Bedingungen sollte wohl eine Verwendungsdauer von maximal wenigen Tagen ausreichen.

  3. Bedauerliches Feedback

    Es ist schon schade das solche interessanten und IMHO wichtigen Forschungsprojekte in vielen Medien mal wieder unter “Schau mal die irren Japaner” läuft wie du es im Text erwähnst.
    Ich kann mir auch auf der Erde für entsprechende Kleidung Verwendungszwecke vorstellen.
    Ich denke z.B. das Militär dürfte wenn die Kosten nicht astronomisch höher im Vergleich zum Standard Feinrip sind auch interessiert sein.
    Wurde auch berichtet wie der Tragekomfort sich entwickelt hat in der Zeit. Geruch ist wichtig aber wenn die Kleidung andere Nebeneffekte auf der Haut hat könnte das von Nachteil sein.

  4. Gibts doch schon…

    Meines Wissen gibts sowas schon. In wandersocken und Funktionsunterwäsche wird:
    1. Merinowolle (vom Merinoschaf) verwendet.
    Man kann (selbst auf trekkingtour getestet!) solche sochen 10-12 Tage an haben und die stinken kein stück!
    2. Silberfäden im Gewebe. Da silber antibakteriell wirkt ist es geruchshemmend!

    Grüße

  5. Nachhaltigkeit

    Ein weit größerer Nutzen als der hier bedachte mag in Zukunft der für die Umwelt sein, weshalb ich die Ignoranz der meisten Medien bezüglich dieser Meldung auch nicht verstehen kann.

    Die Gebrauchsphase eines Kleidungsstücks verursacht gerade bei Unterwäsche (durch häufiges Waschen mit hoher Temperatur) einen viel größeren Energieaufwand als Produktion und Entsorgung zusammen.

    Natürlich lässt die Wirkung einer Beschichtung bisher mit der Zeit nach und die Gebrauchsgewohnheiten der Verbaucher stehen einer Langzeitnutzung ohne Waschen entgegen, dennoch muss man hier die Möglichkeiten sehen, die diese Entwicklung bereits jetzt und in Zukunft verbessert bietet.

  6. Stinkfreie Unterwäsche – Spin-Off der IS

    Ich halte das für eine sehr tolle Erfindung und wenn man die im Laden kaufen kann, bekommt mein Freund die erst mal geschenkt.

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