Ein orbitaler Soziopath

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Er hört kein bisschen zu, reagiert nicht auf Zuruf und quatscht einfach lautstark drauflos. Sie denken jetzt wahrscheinlich spontan: “Na, so einen kenne ich auch …”

Hier handelt es sich aber nicht um einen Chef, Kollegen oder Nachbarn, sondern um einen im Jahre 2005 gestarteten geostationären Telekommunikationssatelliten namens Galaxy 15. Bei diesem ist seit dem 5. April kein Kommandozugriff mehr möglich. Die Transponder der kommerziellen Nutzlast blieben allerdings eingeschaltet und lassen sich nun nicht abstellen. Das Versagen könnte im Zusammenhang mit einem starken  Sonnensturm Anfang April stehen. Solche Ereignissen lassen die Anzahl geladener Teilchen, die die Erdbahn erreichen, massiv ansteigen. Es kann sein, dass dabei an Bord etwas kaputtgegangen ist.

Galaxy 15 im Reinraum, Quelle: der Hersteller des Satelliten, Orbital Sciences Corp. Zwar hat der Betreiber natürlich das Senden kommerzieller Daten, die von diesem Satelliten verteilt wurden, eingestellt. Dennoch bleibt die aktiven Transponder auf Galaxy 15 ein Problem. Die Erde ist keine perfekte Kugel, sie ist einerseits durch ihre Rotation abgeplattet. Aber ihre Massenverteilung variiert auch ein wenig, wenn man einem Breitengrad folgt. Der Haupteffekt dieser Art ist die sogenannte “Triaxialität” – insbesondere für geostationäre Satelliten (bei anderen ist das weniger von Bedeutung) wirkt sich dies so aus, als wenn man das Schwerefeld der Erde als zwei Massepunkte modelliert, die jeweils die halbe Erdmasse enthalten und um einige Dutzend Meter voneinander entfernt sind.

Diese Abweichung in der Massenverteilung führt dazu, dass es im geostationären Orbit vier Gleichgewichtspunkte gibt, von denen zwei instabil sind. An diesen Punkten tritt keine Ost-West-Störung auf. Wenn ein Satellit auf einer anderen geographischen Länge positioniert ist als die stabilen Punkte, wird er immer die Tendenz zu einer Längendrift haben. Vom instabilen Gleichgewichtspunkt aus kann ihn diese Drift um den halben Erdball herumführen. Um dieser Längendrift entgegenzuwirken, lässt man Satelliten regelmäßig kleine Manöver mit Steuerdüsen ausführen. Ohne Kommandozugriff geht das aber nicht.

Da Galaxy 15 nicht auf einem stabilen Punkt positioniert war, driftet er nun. Er passiert dabei die Positionen verschiedener Nachbarsatelliten. Diese benutzen zumeist ähnliche Frequenzen, und es ist sehr wohl möglich, dass Galaxy 15 für andere Satelliten bestimmte Signale empfängt, seine Transponder reagieren und er anfängt, mit voller Sendeleistung loszuschnattern. Und das ist ein Problem, wie man sich unschwer vorstellen kann. Zusätzlich zur Interferenz bleibt auch noch das Restrisiko einer Kollision.

Es wurden zahlreiche erfolglose Versuche unternommen, Galaxy 15 wieder unter Kontrolle zu bekommen. Solche Kommandos, in die menschliche Kommunikation übertragen, wären so etwas wie “He, du da, hallo! Wach mal auf! Hörst du mich?”. Da Galaxy 15 nicht reagierte, wurde von der Bedienmannschaft am 3 Mai ein deutlich energisches Kommando gesendet. Dessen Äquivalent wäre in etwa “Shut up! Shut the *&$# up!”. Auch hier: Kein Erfolg.

Nun gehen langsam die Optionen aus, wenn Galaxy 15 nicht von selbst zur Räson kommt. Hinfliegen und dagegentreten ist ausgeschlossen. Man könnte versuchen, ein Signal mit sehr hoher Sendeleistung zu senden und die Transponder zur Notabschaltung zu veranlassen. Aber es besteht das Risiko, dass dieses Signal auch von anderen Satelliten empfangen wird.

Mit der Zeit wird die Bahn des Satelliten eine Neigung aufbauen. Um dies zu verhindern, lässt man geostationäre Satelliten zusätzlich zu den Ost-West-Manövern gegen die Längendrift auch Nord-Süd-Manöver ausführen. Dies kann Galaxy 15 nun auch nicht mehr. Wenn die Bahnneigung zunimmt, dürfte es irgendwann möglich sein, ohne Gefährdung Anderer die Transponder von Galaxy 15 zum Abschalten zu bewegen – sofern dies nicht bereits aus Strommangel geschieht, wenn die Solargeneratoren nicht mehr der Sonne nachgeführt werden. Aber auch auf der geneigten Bahn wird Galaxy 15 weiter den geostationären Ring kreuzen, sodass das Risiko einer Kollision bleibt.

Eigentlich sollen Satelliten am Ende ihrer Lebenszeit mit dem letzten Treibstoff etwa 250 km angehoben werden, um im so genannten Friedhofsorbit geparkt zu werden. Dort ist das Risiko der Gefährdung aktiver geostationärer Satelliten minimiert. Das geht nun natürlich nicht mehr. Allerdings scheren sich auch manche anderen Betreiber wenig um diese Vorgabe.

Weitere Information

Artikel auf Space.com vom 5.5.2010

Heiner Klinkrad: Space Debris Models and Risk Analysis auf Google Books

E.M. Soop: Handbook of Geostationary Orbits auf Google Books

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

Schreibe einen Kommentar