Nördlingen 2010: Livebericht zum Workshop

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Einmal im Jahr gönne ich mir eine wissenschaftliche Konferenz, und wenn möglich, blogge ich darüber. 2007 war die Mars-Konferenz EMSEC beim ESTEC dran, 2009 ging es um Methan in der Marsatmosphäre und die Konsequenzen. Dieses Jahr ist “Nördlingen 2010” dran, eine internationaler Workshop zum Rieskrater und im weiteren Kontext, zu Einschlagskratern im Sonnensystem und die Zukunft der bemannten Erforschung des Weltalls. Es klingt nach einem Rundumschlag, hat aber Hand und Fuß.

Ich werde jeden Abend, soweit möglich, vom Fortgang des Workshops berichten. Ich erhebe aber nicht den Anspruch, umfassend Bericht zu erstatten, sondern konzentriere mich auf das, was mich am meisten interessiert … Darin liegt die Freiheit des Bloggers.

Der Workshop ist hochkarätig besetzt: Zu den Organisatoren gehört Professor Dr. Dieter Stöffler vom Museum für Naturkunde in Berlin, der 1970 zusammen mit Wolf von Engelhardt die Astronauten  der Apollo-Missionen 14 und 17 im Rieskrater ausbildete und maßgeblich an der wissenschaftlichen Auswertung der Mond-Bodenproben beteiligt war.

Heute war der Eröffnungstag, morgen werden die Fachvorträge gehalten. Ganz besonders freue ich mich auf Sonntag. Dann gibt es eine eintägige geologische Exkursion durch das Ries, diesen Traum jedes Geologen.

Straßenschild am Eugene-Shoemaker-Platz, vor dem Rieskratermuseum in Noerdlingen, Quelle: Michael KhanBekanntlich ist das Nördlinger Ries ein ganz besonderer Ort auf dieser Erde. Es handelt sich um ein etwa 25 km großes Becken, das von einem natürlichen Ringwall umgeben ist. Seinen Ursprung hat diese auffällige Formation im Einschlag eines rund 1 km großen Asteroiden vor knapp 15 Millionen Jahren. Dieser war begleitet von einem etwa 200 Meter großen Mond – was bei Asteroiden nicht selten vorkommt. Der kleine schlug unweit von Nördlingen ein und bildete dabei das Steinheimer Becken.

Dieser Doppelimpakt hat wahrscheinlich die Umgebung bis in Hunderte km Entfernung komplett verwüstet und jahrelange globale Auswirkungen gehabt. Eine Katastrophe dieser Art kann jederzeit wieder passieren. Heute würde dies das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten.

Wegen seines jungen Alters und der Tatsache, dass der Krater lange Zeit von einem See gefüllt war, ist er heute einer der am besten erhaltenen Impaktkrater. 1960 fiel dem berühmten Geologen Eugene Shoemaeker das typischen “geschockten” Gesteinsformationen auf, das infolge eines Asteroidenimpakts entsteht. Deswegen wurden dort auch 1970 Apollo-Astronauten für ihre Aufgaben auf dem Mond trainiert – was sie hier sehen können, gibt es in ähnlicher Form auch auf dem Mond zu sehen.

Freitag, 25.6.2010

Treppe des Rathauses von Noerdlingen aus lokal gehauenem Suevit, Quelle: Michael KhanAm Freitag sprachen zwei Astronauten als eingeladene Gastredner. Besonders begeistert war ich vom Vortrag von Dr. Stanley Love, Astronom und NASA-Astronaut. Dr. Loves Vortrag war sehr dicht, voller Fakten und Daten. Die Zuhörer wurden aber nicht überfordert, was an der humorvollen Vortragsweise und dem Verzicht auf Jargon lag.

Love begann mit den Apollo-Missionen, die er, wie ich, als Kind verfolgte. Er berief sich auf die immer noch anwirkende Ausstrahlung dieser Missionen, selbst fast 40 Jahre danach – bedauerlicherweise fast 40 Jahre ohne bemannte Forschungsmissionen.

Alle Untersuchungen haben laut Love gezeigt, dass die NASA zu Hochform aufläuft, wenn sie ein klares Ziel und klare zeitliche und budgetäre Vorgabe hat. Fehlen diese, dreht sie sich im Kreis. Das Constellation-Programm, 2003 vom damaligen Präsidenten W aufgelegt, um die USA wieder auf den Weg in den Weltraum jenseits des erdnahen Orbits zu führen, hätte das Zeug dazu gehabt, an die Apollo-Zeit anzuknüpfen, wäre sie nur vernünftig finanziert gewesen.

Kritik an Details des Constellation-Programms fand bei Love zwar ein gewisses Verständnis. Generell aber findet er die Eckpunkte richtig: Eine  Schwerlastrakete für die Hardware und eine mittelgroße für die Mannschaft, dazu eine Kapsellösung, die maximale Sicherheit für die Astronauten in jeder Missionsphase bietet. Wer meinen Blog verfolgt, weiß, dass ich ihm hier vollkommen zustimme.

Love bedauerte die Ungewissheit, die Obamas Pläne zur Einstellung des Programms Constellation erzeugt hat. Auf Nachfrage bestätigte er, dass im Endeffekt jedes neue System, das man ohnehin braucht, wenn man das Sonnensystem erforscht – was Obama ja auch will – zu ganz ähnlichen Lösungen finden wird wie Constellation.

Besonders interessant fand ich Loves Beschreibungen von Analogmissionen zur planetaren Forschung, darunter geologische Tauchexpeditionen in einem kanadischen See oder die Suche nach Meteoriten auf antarktischen Eisfeldern. Dies ähnelt in vielerlei Hinsicht der bemannten planetaren Forschung und erlaubt es, operationelle Erfahrungen zu sammeln, die für die Planung tatsächlicher Missionen von unschätzbarem Wert sein werden.  

Sonnabend, 26. Juni 2010

Heute ging es mit einer Serie wissenschaftlicher Vorträge in medias res. Ich beschränke mich auf die Punkte, die mir am Wichtigsten erscheinen.

Zunächst zum Ries-Krater selbst. Krater kann man grob in vier Gruppen unterteilen, die mit der Größe korrelieren. Die kleinsten Krater sind “einfach” mit einem schüsselförmigen Kraterboden und dem ringwallförmigen Rand. Alle größeren Krater sind “komplex”. Die Maximalgröße “einfacher” Krater hängt von der Schwerkraft des Planeten ab. Auf der Erde liegt die Grenze bei 2-4 km, beim Mars schon bei 6-7 km.

Unter den komplexen Kratern gibt es solche mit einem Zentralgebirge, dann solche mit einem Innenrand und einem äußeren Rand. Die ganz großen haben multiple konzentrische Strukturen und sehen terrassiert aus. Kompliziert wird das Ganze dadurch, dass die ursprüngliche Struktur durch spätere Prozesse massiv verändert sein kann, allemal auf der Erde mit ihrer starken geologischen Aktivität, Wettergeschehen und Pflanzenbewuchs. Strukturen können auch versunken sein, sodass sie sich nicht mehr von der Umgebung abheben.

Der Rieskrater mit seinen 25 km Durchmesser muss zwangsläufig komplex sein. Ein Zentralgebirge sucht man vergebens, deutlich feststellbar ist aber ein innerer Wall von etwa 12 km Durchmesser. Möglicherweise – diese These präsentierte ein Vortragender – ist das Zentralgebirge einfach versunken. Es gibt also, obwohl dieser Krater bereits der besterforschte der Erde ist, noch Einiges, was unklar ist, u.a. sein genaues Alter. Da gibt es zwei Theorien, die eine sagt 15 Millionen Jahre, die andere 14.3. 

Was den Rieskrater trotz der dicken Sedimentschicht des Sees, der ihn über Jahrmillionen ausfüllte, auszeichnet, sind die Schichten von Auswurfmaterial, aus denen sich die dramatische Geschichte des gewaltigen Einschlags rekonstruieren lässt. Die gelagerten Schichten des Auswurfmaterials in der näheren Umgebung des Kraters weisen deutliche Schichtung auf. Zuerst wurde das lokale Gestein, das vom eindringenden Asteroiden verdrängt wurde, in Form von bunten Brekzien, als Gemisch diverser Mineralien auf dem anstehenden Gestein, zumeist Kalkstein, abgelagert. Darauf lagerte sich in den darauf folgenden Sekunden das durch die Impaktenergie entstandene Gestein Suevit. Die Tatsache, dass der Boden wasserreich war, spielt eine wichtige Rolle in der Bildung des Suevits, das sich nur beim hohem Druck eines Impakts bildet. Kleine und große Gesteinsbrocken wie auch Tektite wurden bis in 500 Kilometer Entfernung getragen und sind heute noch dem Ereignis zuordenbar.

Was ist nun die besondere Bedeutung des Rieskraters für die planetare Forschung? Das Wissen um Krater ist extrem wichtig für die Erforschung der Oberfkächen silikatischer Körper wie Mond und Mars. Auf dem Mond steht man überall entweder in einem Krater, auf dem Rand oder auf einem Mantel an Auswurfmaterial – da sich Mondkrater überlappen, vielleicht alles drei gleichzeitig. Beim Mars ist es ähnlich. Gerade Krater helfen, die Geologie des Himmelskörpers zu verstehen, denn in einem Krater hat die Natur gewissermaßen tiefe Bodenschichten zugänglich gemacht, an die man sonst nicht herankäme. Gerade Mondkrater sind phänomenal tief und auch zerklüftet und steil.

Aber nicht nur den Himmelskörper selbst erforscht man, wenn man die Krater untersucht, sondern auch die frühe Geschichte des inneren Sonnensystems. Was wir über die Einschlagsraten in der ersten Jahrmilliarde nach Akkretion des Sonnensystems wissen, wissen wir nur deswegen, weil wir den Mond erforschen konnten. Woher sonst? Auf der Erde gibt es kaum so altes Gestein wie das, was auf dem Mond überall herumliegt. Es ist absurd, anzunehmen, wir würden den Mond bereits kennen, weil wir vor 4 Jahrzehnten an ein paar Stellen gelandet sind. Fast ebenso absurd wie die unlängst gefallene Behauptung, der Mond sei geologisch uninteressant, viel zu lernen gäbe es dort nicht mehr.

Krater zu erforschen muss man allerdings lernen und üben. Dazu eignet sich nichts besser als der Rieskrater, ein hervorragend erhaltener komplexer Krater, der in seinem Aufbau große Ähnlichkeit mit Mond- oder Marskratern aufweist, aber ungleich leichter und ungefährlicher zu erreichen ist und zudem auch den Vorteil hat, dass man den Abend nach einem geschäftigen Forschungstag mit einem guten Bier und leckerem deutschen Essen ausklingen lassen kann (Hier zitiere ich den Astronauten Dr. Stanley Love). Astronauten werden auch in der Zukunft mit Sicherheit wieder nach Nördlingen pilgern, wie schon vor 40 Jahren.

Aber auch aus einem anderen Grund ist der Rieskrater ungeheuer wertvoll: Wer numerische Modelle zur Kraterbildung und Auswurfmaterialverteilung erstellt, der will sie auch an der Realität messen. Wir können nicht bis zur nächsten Mond- oder ersten Marslandung warten. Das muss alles schon vorher sitzen. Also verifiziert man die Modelle anhand des besterforschten komplexen Einschlagskraters in der Nähe – das ist der Rieskrater.

Die letzten Vorträge interessierten mich brennend, denn da ging es darum, was konkret zu machen ist, um die bemannten Mond- und Marsmissionen vorzubereiten, was man in den letzten Jahren gelernt hat und was es noch zu lernen gibt. Aber das kann ich hier nicht ausführen – stattdessen werde ich in den nächsten Tagen Links zu den relevanten Veröffentlichungen posten. Stay tuned.

Heute Abend steht eine Feier an, weil dieses Jahr drei Jubiläen anstehen. Und morgen geht’s raus zur Exkursion!

Sonntag, 27. Juni 2010

Wahnsinn. Die Exkursion dauert von 9 Uhr früh bis 19 Uhr und klappert zahlreiche Steinbrüche und Aufbrüche am und um den Kraterrand ab. Meinetwegen hätte es noch 10 Stunden länger dauern können. Dabei bin ich noch nicht einmal Geologe. Fahren Sie hin und schauen Sie es sich selbst an. Heute noch. Los, ab mit Ihnen. So etwas sehen Sie nicht alle Tage.

Suevit-Steinbruch der Maerker Zement GmbH; Otting, Quelle: Michael Khan Suevit-Steinbruch der Maerker Zement GmbH; Otting, Quelle: Michael Khan

Suevit-Steinbruch der Firma Märker-Zement GmbH in Harburg, 2 km südöstlich des Kraterrands. Suevit über bunter Brekzie, mit messerscharfer Trennung zwischen den Schichtungen

Steinbruch der Marmorwerke Gundelsheim, Bunte Brekzie auf anstehendem Malmkalkstein, Quelle: Michael Khan Steinbruch der Marmorwerke Gundelsheim, Bunte Brekzie auf anstehendem Malmkalkstein, Quelle: Michael Khan 

Steinbruch der Gundelsheimer Marmorwerke. Bunte Brekzie auf anstehendem Malmkalkstein. Wieder eine sehr scharfe Trennung der Schichten mit Einschnitten, die radial vom Einschlagpunkt weg verlaufen

Noerdlinger Ries - Steinbruch Aumuehle, Suevit auf Bunter Brekzie, Quelle: Michael Khan  Noerdlinger Ries - Steinbruch Aumuehle, Suevit auf Bunter Brekzie, Quelle: Michael Khan

Suevitsteinbruch Aumühle, Suevit auf bunter Brekzie.

Megablock im Rieskrater, ausgeworfen beom Impakt, Quelle: Michael Khan  Alter Steinbruch Polsingen, Quelle Michael Khan

Kalkstein-Megablock im Märker-Steinbruch (links) und alter Suevit-Steinbruch Otting(rechts).Auffallend in dem gewaltigen Block, 2 km außerhalb des Kraterwalls, ist die um 90 Grad gekippte Schichtung. Im Steinbruch Otting, etwa 3.5 km außerhalb des äußeren Kraterwalls, fand Eugene Shoemaker 1960 die Gesteinsproben, in denen Coesit, später auch Stishovit und damit die Entstehung des Kraters durch einen Impakt nachgewiesen werden konnte

Das weite Rund des aeusseren Kraterrands, gesehen aus der Naehe des Steinbruchs Aumuehle, Quelle: Michael Khan  Das weite Rund des Kraterrands, gesehen vom Wallerstein, Quelle: Michael Khan

Blick über den ganzen Rieskrater bis hin zum gegenüberliegenden Kraterrand

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

2 Kommentare

  1. Der zweite und der dritte

    Der zweite Astronaut, der beim Workshop sprach, war Dr. Gerhard Thiele, ehemaliger ESA-Astronaut und Mitglied der Mannschaft von STS-99.

    Heute abend bei der Feier spricht Professor Ernst Messerschmid, der mit der D1-Mission oben war.

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