Wie kommt man ans VLT?

BLOG: Promotion mit Interferenzen

Auf dem Weg zum Profi-Astronomen
Promotion mit Interferenzen

Als weltweit größtes Teleskop ist das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) sehr begehrt. Astronomen beantragen regelmäßig etwa vier Mal mehr Beobachtungszeit als verfügbar ist. Damit die zur Verfügung stehende Beobachtungszeit effizient an die besten Anträge verteilt werden kann, lädt die ESO zweimal im Jahr alle Astronomen der Welt dazu ein, Anträge für Beobachtungszeit am VLT zu stellen. Die letzte solche Antragsfrist ist vor knapp einer Woche zu Ende gegangen. Und diese habe ich besonders aktiv mitbekommen, da ich das erste Mal selbst ein Proposal eingereicht habe. Doch wie schreibt man so ein Proposal? Es gibt dazu eine ausführliche Anleitung von der ESO, ja es gibt sogar detaillierte Papers darüber, wie man Proposals schreibt. Hier will ich einen subjektiven Eindruck davon geben, wie man ein Proposal schreibt.

 

 

Beobachtungszeit am Very Large Telescope ist sehr
begehrt und muss mindestens ein halbes Jahr
im Vorhinein beantragt werden.

  1. Bevor man ein Propsal schreiben kann, muss man wissen, was man machen will, im Jargon der Astronomen: man braucht einen "science case". Für meine Doktorarbeit untersuche ich die Zentren von nahen Aktiven Galaxien. Mit dem MIDI-Instrument am VLTI können wir den heißen und warmen Staub sehen, der das Schwarze Loch im Zentrum dieser Galaxien umgibt und damit die unterschiedlichen Typen von Aktiven Galaxien besser verstehen.
  2. Wenn man weiß, was man untersuchen will, erstellt man eine Liste von Objekten, die für das beabsichtigte Ziel am erfolgversprechendsten sind. Dabei greift man auf bereits vorhandene Beobachtungen zurück, um abschätzen zu können, welche der zu untersuchenden Objekte hell genug sind, um mit dem entsprechenden Instrument gesehen werden zu können. In unserem Fall ist das eine Liste von knapp 20 relativ nahen Galaxien, großenteils aus der Familie der Seyfert-Galaxien (leuchtschwache Aktive Galaxienkerne in Spiralgalaxien). Neben einem Helligkeits-Limit muss man natürlich auch darauf achten, welche Objekte am Cerro Paranal in Chile, dem Standort des VLT, sichtbar sind.
  3. Der aktuelle Aufruf für Beobachtungsanträge ("Call for Proposals") ist für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. März 2009. Man schaut als nächstes also, welche der Objekte auf der oben erstellten Liste in dieser Zeit beobachtbar sind.
  4. Oft bleiben nach diesem Schritt gar nicht mehr so viele Objekte über. In unserem Fall hat sich die Anzahl der Galaxien damit auf eine Handvoll reduziert. Darunter fanden wir schnell den besten Kandidaten aufgrund von früheren (Versuchs-)Beobachtungen.
  5. Nun geht es darum das Objekt "abzuklopfen". Dazu kann man zum Beispiel im Astronomical Data Service (ADS) der NASA nach allen Papers zu diesem Objekt suchen. Ist das Objekt einigermaßen bekannt, findet man auf diesem Weg aber schnell mehrere hundert Papers, die man nicht mehr alle durchsehen kann. In diesem Fall gibt es aber oft ein "Review"-Paper, in dem die wichtigsten Beobachtungen zu dieser Galaxie zusammengefasst und die Originalliteratur zitiert wird. Wenn man Glück hat, ist das Review-Paper einigermaßen aktuell (nicht mehr als wenige Jahre alt), ansonsten muss man in der Primärliteratur die Lücke überbrücken. Denn keinesfalls darf einem beim Schreiben eines Proposals entgehen, falls beispielsweise vor kurzem ein interessantes Paper zu diesem Objekt erschienen ist.
  6. Hat man sich einen Überblick über die Galaxie verschaffen, kann man mit dem ersten großen Punkt des Proposals anfangen, dem "Scientific Rationale", der wissenschaftlichen Begründung, warum das Objekt beobachtet werden soll. Darin wird der Kontext der beantragten Beobachtung geschildert. Der zweite große Text ist die Nennung des unmittelbaren Gründe für die Beobachtung. Darin muss beschrieben werden, wie genau diese Beobachtung in dem unter "Scientific Rationale" erklärten Kontext weiterhelfen wird. Das sind die beiden Haupt-Texte, die zu schreiben sind. Unter Umständen ausschlaggebend kann aber auch der kurze Abstract sein, ja auch der Titel spielt wohl eine wichtige Rolle. Mein Bürokollege erzählte mir von einem Proposal, mit dem untersucht werden sollte, ob die UV-Strahlung der jungen Sterne im Adlernebel die protoplanetaren Scheiben dort zerstört oder zur Planetenbildung anregt. Der Titel des Proposals war "The eagles’ eggs: fertilised or sterilised?" (deutsch etwa: "Die Eier des Adlers: Befruchtet oder sterilisert?")… Auf weiteren Seiten des Proposals kann man Grafiken anfügen, um die vorher diskutierten Sachverhalte zu illustrieren. Dabei ist aber sowohl der Platz für Text als auch für Bilder eng begrenzt. Weitere Felder sind für die eher technischen Angaben zur Beobachtungszeit und den Beobachtungsmodus vorgesehen. Dazu gibt es auf der Website der ESO eine Sektion mit Belichtungszeitrechnern, die man nutzen muss, um zu begründen, wieviele Stunden Beobachtungszeit man braucht. Bei manchen Instrumenten wird die Beobachtungszeit sogar sekundengenau vergeben. Darüberhinaus muss man darlegen, wieviel Zeit man in der Vergangenheit von der ESO bekommen hat und sollte anhand von Veröffentlichungen belegen können, dass man die damit gewonnenen Daten sinnvoll verwendet hat.
  7. Dann schickt man das Proposal ab, wartet, ob das ESO-System Fehler im Antrag meldet — und atmet erst mal tief durch, wenn alles geklappt hat.

 

Danach dauert es ziemlich lange, bis man wieder von der ESO hört. Die ESO ist in der Zwischenzeit dafür gut damit beschäftigt, die in den verschiedenen Kategorien eingereichten Anträge auf Gutachter zu verteilen. Jede der vier Hauptkategorien ("Panels") Kosmologie, Galaxien, Planeten und Sterne ist dabei noch aufgeteilt in Sub-Panels zu jeweils drei referees. Die Sub-Panels sind notwendig, damit zum einen der Arbeitsaufwand pro Person begrenzt wird und zum anderen, damit ein referee nicht das Proposal eines guten Freundes (oder eines Konkurrenten!) begutachtet. Dabei vertraut man auf die Ehrlichkeit der referees: Diese werden aufgefordert von sich aus zu sagen, welche Proposals sie aus solchen "conflict of interest"-Gründen nicht begutachten wollen. Nach der ersten Begutachtung treffen sich alle Gutachter beim ESO-Hauptsitz in Garching (für die jetzt abgeschickten Proposals ist diese Sitzung für Ende Mai anberaumt). Die versammelten Gutachter beraten zwei Tage lang, welche Anträge sie akzeptieren und wie sie sie bewerten wollen. Das Observing Proposals Committee (OPC), das aus den Voristzenden der Panels gebildet wird, entscheidet darüberhinaus wieviel Zeit für welche Bereiche vergeben wird. Wenn beispielsweise viel mehr gute Proposals im Planeten-Panel eingereicht worden sind als im Kosmologie-Panel, dann kann das OPC die relative Zeitvergabe noch verändern. Allgemein gilt: Je besser ein Antrag bewertet wird, desto bessere Bedingungen kann er für die Beobachtungen erhalten, sofern er im "service mode" ausgeführt wird (siehe unten). Insgesamt werden bei solchen Sitzungen etwa 1000 Anträge besprochen.

Nach diesem Treffen erhalten die Antragsteller Bescheid, ob ihr Antrag angenommen worden ist oder nicht. Außerdem erfährt man, ob man selber zum Paranal "muss" oder nicht. Je nach Beobachtungsprojekt kann es nämlich notwendig sein, selbst vor Ort zu sein, um in die Beobachtung eingreifen zu können, oder die Beobachtungen zuhause zu planen und sie dann von ESO-Fachleuten ausführen zu lassen. Letztere Beobachtungsart, der so genannte "service mode", ist besonders dann sinnvoll, wenn ein Objekt sehr gute Bedingungen braucht, um beobachtet werden zu können. Die ESO-Leute vor Ort können dann die besten für das Proposal von den referees genehmigten Bedingungen abwarten und erst dann die Beobachtung durchführen. Auf dem Proposal muss man begründen, in welchem Beobachtungsmodus man die Beobachtungen durchführen möchte.

Für mein vor einer Woche abgeschicktes Proposal werde ich wahrscheinlich im Juli Bescheid bekommen, ob es akzeptiert worden ist. Ich hoffe natürlich, dass der Antrag genehmigt wird und die Beobachtung erfolgreich ist und werde dann ausführlich darüber berichten!

Für zwei andere Proposals, die meine Arbeitsgruppe vor einem halben Jahr eingereicht hat, haben wir bereits grünes Licht bekommen. In dem einen Antrag geht es um eine detaillierte Untersuchung der Radiogalaxie Centaurus A, im anderen um eine Versuchs-Beobachtung von NGC 4151, der hellsten und nächsten Seyfert-1-Galaxie auf unserer Liste und um eine Beobachtung von 3C273, einem der best bekannten Quasare. Diese Beobachtungen sind für nächste und übernächste Woche angesetzt — und zwar im "vistitor mode". Und der visitor… bin ich!


Bevor die Beobachtungsreise am kommenden Sonntag
losgeht, muss ich noch alle Details der Beobachtungen
festlegen

.

Dazu muss ich diese Woche aber noch die so genannte "Phase 2 Proposal Preparation" (P2PP) durchführen, in der detaillierte "Observing Blocks" geschrieben werden. Diese Dateien werden später auf den VLTI-Kontrollrechner in die Steuersoftware geladen und legen die Beobachtung fest. Doch dazu später …

Update (8. April 2008): Ich habe die Abschnitte über die Proposal-Bewertung noch etwas ausgebaut.

Update (13. April 2008): Wie die ‘Observing Blocks’ erstellt werden und auf was man dabei achten muss, beschreibe ich im Artikel Beobachtungsvorbereitung.

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www.ileo.de

Nach dem Studium der Physik in Würzburg und Edinburgh, habe ich mich in meiner Diplomarbeit mit der Theorie von Blazar-Spektren beschäftigt. Zur Doktorarbeit bin ich dann im Herbst 2007 nach Heidelberg ans Max-Planck-Institut für Astronomie gewechselt. Von dort aus bin ich mehrere Male ans VLT nach Chile gefahren, um mithilfe von Interferometrie im thermischen Infrarot die staubigen Zentren von aktiven Galaxien zu untersuchen. In dieser Zeit habe ich auch den Blog begonnen -- daher der Name... Seit Anfang 2012 bin ich als Postdoc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching im Norden von München. Dort beschäftige ich mich weiterhin mit Aktiven Galaxien und bin außerdem an dem Instrumentenprojekt GRAVITY beteiligt, das ab 2015 jeweils vier der Teleskope am VLT zusammenschalten soll.

2 Kommentare

  1. *thumb up*

    Vielen Dank für die ausführliche Berichterstattung! Ich war mir garnicht bewusst, wie aufwändig solche Beobachtungen bzw. deren Anträge/Proposals sind 😉

    vlg Stefan

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