007 – Notes From Russia, Teil 1

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

In Deutschland wird es Fruehling, aber ich reise zunaechst in den Winter: Nach der Sonnenfinsternis 2008 haben wir ein Austauschprogramm entwickelt und wollen nun moeglichst oefter nach Sibirien. Das Land ist besser als sein Ruf bei manchen Deutschen – insbesondere der alten Generation(en).

Als Reiseleiterin kann ich diese Tour nicht allein bestreiten, weil ich kein Russisch spreche. Ich dokumentiere also die Reise hier und moechte fuer interessierte junge Leute festhalten, was man hier erleben kann. Es ist das erste Projekt in dieser Form und wir wuerden aehnliche Kooperationen gerne intensivieren.

SternenAbenteuerTour, SAT 1, 2010

An einem verregneten Fruehjahrstag ging es los, gegen Mittag am Flughafen Berlin Schoenefeld: 13 junge Reisende aus Hamburg, Mannheim, Heidelberg, Frankfurt a.M., Hildesheim und Berlin treten eine Reise ins Zentrum des Eises an: ins Herz von Sibirien, nach Novosibirsk. Mit Zwischenlandung in Moskau sind wir etwa 11.5 Stunden unterwegs. Austauschprogramme wie dieses haben den Sinn, dass man ueber die fachliche Kompetenzen erweitert, Kontakte knuepft und die andere Kultur kennenlernt. Wir wollte natuerlich insbesondere wissen, wie man in Russland (heute) forscht, lebt und studiert.

Wir erreichen Novosibirsk mit der aufgehenden Sonne. Der Schnee liegt noch ca 15 cm hoch und wird alle zwei Tage zu matschigem Brei. Wir werden von unseren Gastfamilien abgeholt und koennen uns erstmal etwas ausruhen. Am Nachmittag gibt es Programm in den Schulen in der Nachbarstadt Iskitim, wo ich untergebracht bin. Wir werden mit Brot und Salz begrueszt. Damit die Symbolik ‘wirkt’, muss jeder der Gaeste und Gastgeber etwas davon kosten – was wir artig tun. In der Schule Nr 3 spielen Kinder ein kleines Stueck auf, in dem sie uns zeigen, wie man in Russland Ostern feiert. In der Schule Nr 5 sehen wir anschlieszend einen Film ueber den Berlin-Besuch der russischen Schueler letztes Jahr. An diesem Abend fallen wir alle frueh ins Bett und schlafen unser Jetlag aus.

Am ersten vollen Erlebnis-Tag erleben wir Akademkorodok, die Wissenschaftlerstadt von Novosibirsk. Man demonstriert uns Experimente in einem groszen Physikhoersaal. Anschlieszend gehen wir durch Labors, die von Studierenden fuer Praktika genutzt werden. Dazu gehoert ein kleines Teleskop auf dem Dach des Hauses, durch das wir leider nichts sehen koennen, weil es gerade wiedermal schneit. Das Schulfernrohr wird aber auf eine entfernte Hauswand gerichtet, so dass wir uns von der Bildumkehr im keplerschen Refraktor ueberzeugen koennen.

Typisch russische Mentalitдt:
1) Ist doch egal, wenn das Geraet drauszen steht. Das muss es schon abkoennen. – In Deutschland wuerde jeder Amateur um sein Equipment bangen, wenn er es im Schnee drauszen gelassen haette. – Die Russen aber wissen, dass ihre Technik so zaeh ist wie die herzlichen Menschen selbst.

2) Der Vorfuehrer im Labor hantiert mit Flьssigstickstoff. Als waere es das Normalste von der Welt, "trinkt" er aus dem Styropur-Becher einen gewissen Schluck und "speit" dann nicht Feuer, sondern eine Stickstoff-Wolke. Die Seelenruhe bei diesem Selbstversuch wuerde einem sicherheits- und gesundheitsfetischstischen Deutschen gewiss nicht in den Sinn kommen.

Wir sahen auszerdem sehr interessante Fallversuche in Magnetfeldern: Die Kugel faellt normal durch ein leeres Rohr und alternativ wird die (verlaengerte) Fallzeit gemessen, wenn die Kugel durch ein Rohr mit starken Magnetfeldern faellt. Ringmagnete ermoeglichen diesen raffinierten Aufbau.
 
Auszerdem besuchten wir einen – offenbar hoechst-geheimen, weil nicht fotografierbaren – Windkanal: aerodynamische Forschung hat in dieser Stadt offenbar hohen Stellenwert, denn das Thema wird auch an der TU mehrfach aufgegriffen.

TU Novo

Ebenfalls hier in der Mitte Asiens befindet sich die drittgroeszte russische Universitaet: die Technische Universitaet Novosibirsk mit ca. 23000 Studierenden. Die NachwuchsforscherInnen bekommen hier eine exzellente Ausbildung: an modernsten Analyse-Geraeten in den Labors und zahlreichen Computer-Raeumen auf dem groszzuegig angelegtem Gelaende.

Der Praesident der Uni war als Student selbst eine gewisse Zeit in Deutschland und laedt alle Deutschen herzlich nach Sibirien ein. Der freundliche Empfang an der TU geht noch weiter, denn ein unglaublich lebhafter Mensch vom "Akademischen Auslandsamt" erklaert in flieszendem Deutsch und mit gigantischem Enthusiasmus, welch vorzuegliche Voraussetzungen die AbsolventInnen dieser Uni haben.

Leere Worte zur Reklame? – Mitnichten! Studierende lernen hier nicht nur aus "toten" Buechern, sondern sie fertigen z.B. Konstruktionszeichnungen von Flugzeugen, indem sie ein altes Flugzeug in einer riesigen Halle aufschrauben und zerlegen. – Die Verkleidung ist bereits so weit entfernt, dass man hineinschauen kann. Wenn das aber noch nicht reicht, dann darf auch Weiteres abgeschraubt werden, falls es schraubbar ist. Traumhaft!

Studierende des ersten Studienjahres bauen bereits Modelle fuer den Windkanal und ueben sich im Aufnehmen von Messwerten. In hoeheren Semestern wird ein groszer Windkanal benutzt, der auch fuer Forschungszwecke eingesetzt wird: Das Modell zeigt zwei Hochhaeuser, die in Krasnojarsk gebaut werden sollten – die Forscher fanden jedoch heraus, dass sie parallel zum Fluss und zu eng beeinander konzipiert waren, so dass Fuszgaenger zwischen den Haeusern wegzufliegen drohten. Daher wird das architektonische Konzept ьberarbeitet.

Abb.: Die gelben Pfeilchen zeigen auf ein Heckruder, dessen Stellung sich zwischen den Aufnahmen (wenige Sekunden) bewegt hat. Der gruene Pfeil zeigt auf ein Rollrad.

Besonders beeindruckend war das aufgebahrte Jagdflugzeug SU 27, an dem wir einen Triebwerkstest miterlebten. Die SU kann es mit jedem anderen Jagdflugzeug der Welt aufnehmen: wirklich ein beeindruckendes bereits stillstehend Ding! Abgesehen von dem schrecklichen Laerm des Motors ist es ungeheuer beeindruckend, wenn die hydraulischen Systeme die Rollraeder ein- und ausfahren! (uebrigens hat auch die Firma FESTO einen Sitz in Novosibirsk.) Und wenn man in einer groszen Halle steht, neben dem Flugzeug und ploetzlich der Motor angeht und die Ruder wackeln, dann ist das wohl kaum anders beschreibbar als "gigantisch faszinierend"!!!  

     
Drei kleine Museen in Novosibirsk

Im Sonnenmuseum hat ein kultiger Herr alles ausgestellt, das er seit ca 30 Jahren zum Thema "Sonne" gesammelt hat. Sonnendarstellungen aller europaeischen Voelker: germanische Runen, spaetroemischer Mitras und altgriechischer Apoll – finden sich neben Darstellungen aus Nepal und Sibirien. In Nepal findet man oft das Motiv der Sonne, die auf einer (Mond)Sichel reitet wie auf einer Barke. Sibirien bevorzugt Elchdarstellungen und Russland im allgemeinen das Pferd.

Der freundliche Mann behauptet, dass fast alles Runde irgendwie als Sonnendarstellung gesehen werden kann – z.B. auch Blini, die russischen Omelett, die schlieszlich aus Mehl (einem Produkt von Sonnenschein auf die Erde) gemacht werden. Naja – vielleicht ьbertreibt er an der einen oder anderen Stelle den Kult, aber das Museum ist eine eindrucksvolle Sammlung. Viele der Holzschnitzereien, die Nachbildungen von Felsengemaelden aus der Steinzeit oder Bronzezeit sind, hat er selbst angefertigt.  

Typisch Russland: Das Nebeneinander von Mythos/ Religion und moderner Technologie.

Ein beruehmter Ingenieur aus Nowosibirsk war Juri Kondratyuk (1897 – 1942). Verdienste von ihm sind z.B. die Konstruktion einer gigantischen Haengebruecke, des grueszten (heute nicht mehr erhaltenen) Holzhauses der Welt und Forschungen als Raktenpionier. Arbeiten von ihm waren sogar auf der Weltausstellung 1937 in Paris vertreten.

Er lebte und arbeitete in einem Haus in Novosibirsk, das heute als Raumfahrtmuseum umgestaltet ist. Ausgestellt sind hier einige Modelle von Raumschiffen und Raketen sowie Portraits von Kosmonauten. Die Raumflugkoerperausstellung ist recht global: amerikanische, sowjetische und europaeische Raumschiffe sind dort versammlt. Der Schwerpunkt fuer die bemannte Raumfahrt liegt jedoch klar auf der sowjetischen und russischen Raumfahrt: Raumfahrer anderer Nationen sind nur dargestellt, wenn sie (wie Sigmund Jaehn) im Interkosmosprogramm flogen oder auf der MIR waren.     

Optik-Werkstatt

In der Optikwerkstatt sind die historisch (im 19.Jh.) gemeinsamen Wurzeln von Warenhaus und Museum wiedervereint: Auf einer relativ groszen Ladenflaeche stehen grosze Vitrinen, in denen alle moeglichen optischen Geraete brav nebeneinander gelegt sind. Die Palette reicht von Teleskopen der Amateurklasse (teilweise Fabrikate aus Novosibirsk) bis hin zu Nachtsichtgeraeten, Infrarotglaesern, Sucherfernrohren fьr Militaerwaffen bis hin zu einem Schlauchboot (dessen optische Funktion sich mir noch nicht erschlossen hat).

Bizarr ist an diesem Museum jedoch, dass an allen Exponaten Preise dranstehen. Man kann diese Stuecke tatsaechlich kaufen! Wie gesagt: Museum und Shop in einem. 🙂

 

  Teil 2 – folgt naechste Woche

Abb.: Die deutschen Teilnehmenden und ihre russischen Gastgeber haben jeweils ein VEGA-Shirt bekommen. Die anderen Teilnehmenden, die keinen Partner aufnehmen konnten, sondern "nur" am umfangreichen Tagesprogramm teilnahmen, bekamen kleinere "Trostpreise" wie Astromedia-Postkarten, Welt-der-Physik-Lesezeichen, Astro-Kartenspiele u.a. Dieses Gruppenfoto haben wir auf der Bühne im russisch-deutschen Haus in Novosibirsk gemacht, auf der vorher noch wilde russische Nationaltänze zu süddeutscher Jodelmusik getanzt worden waren.

 

 


Typisch Russland: Viel Brimborium.

Hier ein paar Annekdoten:

Wir brauchen Zugtickets fuer die Reisegruppe, um mit der Transsib in die Nachbarstadt Omsk zu fahren.

1) Der Betrag ist nicht mehr klein und wir wuenschen elektronische Zahlung mit der Kreditkarte. Das geht aber nicht: die russische Bahn nimmt nur Bargeld. (Wie altmodisch: wozu hat man Banken, wenn man im Zeitalter der Gewichtsgebeschraenkung des Gepaecks bei Flugzeugen immernoch mit Papiergeld und Metall reisen muss?) Also wird bei der Bank mit der Kreditkarte Bargeld geholt.

In der Bank gibt es drei Schalter; an jedem klebt ein VISA-Symbol. Prima! Beim ersten, der frei wird, ist die bernsteinbehaengte Dame ist ueberfordert und schickt mich zum Schalter Nr 1. Nach weiteren 10 min Wartezeit fragt die dortige Bearbeiterin nach meinem Pass und wirft ihre Kartenlesemaschine an. 15 min warten wir, es gibt Verbindungsprobleme.

Bizarr: Mein USB-Stick eines groszen europaeischen Mobil-"Sauerstoff"-Telefonanbieters funktioniert hier im sibirischen Outback tadellos und mit DSL-Geschwindigkeit. Aber die Automaten der Bank haben Verbindungsprobleme!

Dann gibt die freundliche Dame uns weiter an ihre Kollegin an Schalter Nummer Zwei. An deren Geraet klappt die Verbindung: Hurra! 🙂   

Doch es gibt ein neues Problem: Sie kann zwar das Konto belasten, aber sie kann nur Euro ausgeben und nicht Rubel. (Die russische Bahn nimmt nur Rubel, keine Euronen!) Die Kollegin von der Wechselstube hat heute schon Feierabend.  Folglich weiter zum Schalter Nummer Drei. (da war ich doch schon mal!)

Als wir nun mit den noetigen Rubels die Bank verlassen, koennen wir bereits ueber die ganze Sachen lachen: Wir witzeln herum, was die Damen wohl morgen ihrer Kollegin in der Wechselstube erzaehlen werden. z.B. ‘stell Dir vor, was wir gestern gesehen haben: da war eine echte Deutsche, mit einer deutsche Kreditkarte, hier bei uns in Sibirien".

2) Es geht lustig weiter: Am Bahnhof wollen wir nun endlich die Tickets kaufen:
"Wir moechten n Tickets an Datum x mit dem Zug "Sibiriak" um 10 Uhr nach Omsk."
"Das geht nicht. Der Zug faehrt an diesem Tag nicht; er faehrt nur an den geraden Tagen."

Nach ca 5 min Diskussion stellt sich heraus, dass an diesem Tag doch ein Zug faehrt: Er hat den gleichen Preis, geht zur gleichen Uhrzeit, … alles gleich. "Was ist also der Unterschied?" fragen wir. "Der Name" wird uns schnippisch geantwortet.
Wir kriegen dann trotzdem unsere Tickets nicht, weil wir leider nur Passkopien dabei haben und nicht die Originale. Deutsche Passnummern enthalten aber neben Zahlen auch Buchstaben (nicht kyrillische), so dass die arme Frau am Schalter diese Nummern nicht eingeben kann und sich mit der Visumnummer behelfen will. Also – morgen ist auch noch ein Tag.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), ... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

Schreibe einen Kommentar